Schadrach im Feuerofen
einer dunklen und verschlungenen Fantasieprojektion entgegenkommt. Ich denke, er hätte aus Mangus Tod die gleiche Schlußfolgerung gezogen, wenn er zu dem Zeitpunkt bei bester Gesundheit gewesen wäre. Seine Genesung wird, für sich selbst genommen, kein Faktor sein, der ihn zu einer Neueinschätzung des Vorfalls bewegen könnte. Ich kann Ihnen nur den Vorschlag machen, daß Sie drei oder vier Tage warten, bis er hinreichend erholt ist, um seine Pflichten wieder wahrzunehmen, und dann mit den Ergebnissen Ihrer Nachforschungen zu ihm zu gehen und schlüssig zu beweisen, daß es keinerlei Anhaltspunkte für einen Mord gibt. Und dann müssen wir darauf hoffen, daß sein gesunder Menschenverstand ihn allmählich zu dem Sichabfinden mit der Tatsache des Selbstmords führen wird.«
»Angenommen, ich würde ihm den Untersuchungsbericht heute Nachmittag vorlegen?«
»Er ist für all diesen Streß wirklich noch zu schwach. Außerdem, würde ihm eine so schnell abgeschlossene Untersuchung plausibel erscheinen? Nein, ich würde empfehlen, wenigstens drei Tage zu warten, besser vier oder fünf.«
»Und einstweilen«, sagt Avogadro, »wird man Verdächtige zusammentreiben und verhören, Unschuldige werden leiden, meine Leute werden ihre Energie auf die alberne Verfolgung eines nichtexistenten Attentäters vergeuden…«
»Können Sie denn nicht die Säuberungsaktion ein paar Tage aufschieben?«
»Er hat Befehl gegeben, sofort damit zu beginnen, Doktor.«
»Ja, ich weiß, aber…«
»Er befahl, sofort anzufangen, und wir haben es getan.«
»Schon?«
»Ja. Ich weiß, was ein Befehl vom Vorsitzenden bedeutet. Die ersten Verhaftungen haben bereits stattgefunden. Ich kann versuchen, die Verhöre ein wenig aufzuschieben, so daß den Gefangenen so wenig Schaden wie möglich zugefügt wird, bevor ich den Untersuchungsbericht vorlegen kann, aber ich habe keine Möglichkeit, seine Befehle zu ignorieren.« In vertraulichem Ton fügt er hinzu: »Ich möchte es auch nicht riskieren.«
»Dann wird es eine Säuberungsaktion geben«, sagte Schadrach achselzuckend. »Ich bedaure das so sehr wie Sie, denke ich, aber es gibt wohl keine Möglichkeit, etwas dagegen zu tun. Und ich habe keine wirkliche Hoffnung, daß es Ihnen gelingen wird, dem Vorsitzenden die Selbstmordtheorie schmackhaft zu machen, nicht heute Nachmittag und auch nicht nächste Woche: nicht wenn er glauben will, daß Mangu ermordet wurde. Tut mir leid.«
»Mir auch«, sagt der Sicherheitschef. »Gut. Danke für Ihre Auskunft, Doktor.« Er wendet sich zum Gehen, dann verhält er noch einmal und wirft Schadrach einen tiefen, unbehaglich forschenden Blick zu und sagt: »Ach, noch etwas, Doktor. Wissen Sie von irgendeinem Grund, den Mangu gehabt haben könnte, sich das Leben zu nehmen?«
Schadrach runzelt die Stirn. Er überdenkt die Situation.
»Nein«, antwortet er nach kurzer Pause. »Nein, nicht, daß ich wüßte.«
Er geht weiter in Kontrollraum i, wo sich viele Leute eingefunden haben, darunter mehrere, die zuvor aus dem Schlafzimmer des Vorsitzenden vertrieben wurden. Er beginnt sich ein wenig komisch vorzukommen, weil er als einziger noch immer halb angezogen herumläuft. Gonchigdorge sitzt an dem mehrere Meter langen Schaltpult, wo die eingehenden Übertragungen der Fernsehkameras in aller Welt ausgewählt und eingeschaltet werden. Während der Mann die Knöpfe drückt, verschwinden auf den Bildschirmen ringsum Ansichten und Szenen aus dem Leben und werden durch andere ersetzt. Gonchigdorge scheint die Einschaltungen ohne System und ohne tiefere Absicht vorzunehmen, in einer Art von mißmutiger Ungeduld, als hoffe er durch Zufall auf eine Bande von Desperados zu stoßen, die ein Transparent mit der Aufschrift WIR SIND VERSCHWÖRER schwenken. Aber die übertragenen Szenen enthüllen nur das übliche Menschenschicksal: Leute, die arbeiten, gehen, leiden, streiten, sterben.
Plötzlich erscheint Horthy an Schadrachs Seite und sagt mit einem gewissen Vergnügen: »Die Verhaftungen haben bereits begonnen.«
»Ich weiß. Avogadro hat es mir erzählt.«
»Hat er Ihnen auch gesagt, daß sie einen Hauptverdächtigen haben?«
»Nein. Wen?«
Horthy reibt sich mit den Mittelfingern die vorquellenden, blutunterlaufenen Augen. Noch immer scheint ihn eine psychedelische Ausdünstung zu umgeben. »Roger Buckmaster«, sagt er. »Der Experte für Mikorelektronik, wissen Sie.«
»Ja, ich kenne ihn. Ich habe mit ihm gearbeitet.«
»Vergangene Nacht führte er in Karakorum
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