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Schängels Schatten

Titel: Schängels Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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der Mann und ging.
    »Na?«, fragte Milan. »Hast du im Lotto gewonnen?«
    Mike hielt den Umschlag unschlüssig in der Hand. Er war schwer, und es schien etwas Hartes darin zu sein.
    »Ich weiß es nicht«, sagte er. »Bis jetzt sieht’s nicht danach aus.«
    Er wartete, bis er zu Hause war. Dort setzte er sich auf den Klavierhocker. Er riss das braune Papier auf und förderte einen zweiten Umschlag und einen Schlüssel zutage. Auf dem Umschlag stand in Blockbuchstaben sein Name. Ein Brief war darin. Eine blaue Handschrift. Gut lesbar.
     
    Lieber Mike,
     
    ich weiß nicht, wann du diesen Brief erhältst. Ich weiß noch nicht mal, ob es je dazu kommen wird. Wie dem auch sei: Du hast ihn jetzt, und das heißt, daß mit mir irgendwas passiert ist.
    Was ich dir mitteilen möchte: Das Geld, das wir damals gefunden haben, wurde von mir beiseite geschafft. Ich bin nach unserem Streit noch mal an die Brücke gegangen und habe den Koffer geholt.
     
    O Mann, nicht schon wieder, dachte Mike. Welches Rätsel soll ich jetzt lösen?
     
    Ich wollte das Geld aufheben, bis wir volljährig wären. Womit ich allerdings nicht gerechnet habe, war, daß wir uns schon viel früher aus den Augen verlieren würden. Und daß ich den Unfall haben würde.
    So blieb das Geld praktisch an mir hängen, und du warst nicht mehr da. Der Koffer wanderte immer mit mir mit. Ich nahm ihn mit, als ich zum Studium nach Hamburg ging. Ich nahm ihn mit, als ich mit meinem Mann zusammenzog. Und ich nahm ihn mit nach Berlin, wo er gar nicht so einfach zu verstecken war. Du wirst dich fragen, warum ich das Geld nicht ausgegeben habe. Ganz einfach: Ich brauchte es nicht, ich hatte selbst welches. Und ich hatte Angst davor. Bis heute ist der Fall von damals nicht aufgeklärt.
     
    Mikes Blick fiel auf das Datum des Briefes. Carola hatte ihn im Frühjahr 1995 geschrieben. Lange vor der Trennung von ihrem Mann. Lange vor ihren Recherchen in Koblenz.
     
    So habe ich den Koffer in einem Schließfach in der Kölner Zentrale der Deutschen Bank deponiert, zu dem außer mir nur du Zugang hast. Den Schlüssel und diesen Brief gebe ich einem befreundeten Rechtsanwalt, der immer darauf achten wird, daß er dich aufspürt, wenn mir etwas passieren sollte. Damit ist sichergestellt: Wenn ich einmal sterben sollte, weiß niemand außer dir etwas davon. In meinen Papieren gibt es sonst keine Unterlagen darüber. Das ist es, was ich wollte: Du allein mußt jetzt entscheiden, was mit dem Geld geschieht.
     
    Mike erinnerte sich an Carolas Gesicht. Wie sie im Moselstübchen gesessen hatte. Die leichte Ironie, die in ihren Gesichtsausdruck spielte. Carola hatte gewusst, dass Mike das Geld eines Tages bekommen würde.
    Er ließ das Blatt sinken und lehnte sich zurück. Natürlich! Die Recherche, die neue Freundschaft, die Annäherung. Wenn Mike Carola geholfen hätte, dann hätte sie ihm nach der Lösung des Falles das Geld gegeben. Carola brauchte ihn, um dem Rätsel auf die Spur zu kommen. Aber sie konnte ihm nach all den Jahren auch nicht alles einfach erzählen. Sie hätten den Fall gemeinsam gelöst, und am Ende hätte die Belohnung gestanden. Das Geld. Deswegen hatte sie das Versteck in der Felswand erfunden. Es war ein Köder – ausgelegt mit den besten Absichten.
     
    Und ich rate dir, Mike: Wenn du es verantworten kannst, nutze es, um deine Träume zu verwirklichen. Das ist das Allerwichtigste. Nimm es zur Unterstützung deiner Talente. Ich habe meine Träume vom Klettern verwirklicht. Daß ich dafür mit einem Leben im Rollstuhl bezahlt habe, bereue ich nicht.
     
    Nicht nur damit, dachte er.
     
    Mike, es wird Zeit.
    Fang an zu klettern.
    In Freundschaft
    Carola

Anmerkung des Autors
    Kann man auf das Deutsche Eck klettern? Aber ja: 1982 haben es Unbekannte getan, und sie haben tatsächlich die Fahne auf dem damaligen Mahnmal der deutschen Einheit entwendet und durch eine andere ausgetauscht. Der zitierte Artikel aus der Rhein-Zeitung (er stammt von Peter Burger) ist ebenso echt wie das darin beschriebene Erstaunen der Feuerwehr und der Polizei. Man wusste eben vor zwanzig Jahren noch wenig über die heute so geläufige Sportart »Free Climbing«. Erkenntnisse darüber vermittelte mir Nicole Pirpamer von der Frauenkletterschule »high live« in Köln, die mir sogar mittels gemailter Bilder vom Kaiserdenkmal eine Kletteranalyse anfertigte. Aber nicht nur ihr gilt mein Dank, sondern auch vielen anderen Informanten: So bin ich mit Hilfe meines ehemaligen

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