Schärfentiefe
Weihnachtsmarkt warst?“
„Das weiß ich nicht, weil ich nicht dort war, sondern zu Hause die Koffer gepackt habe. Das kann dir Klaus bestätigen.“
Der nickte ernst mit dem Kopf.
„Hast du einen Doppelgänger?“
„Nicht dass ich wüsste. Aber ich weiß, dass ich nicht dort gewesen bin“, fuhr Markus unbeirrt fort.
Sollte alles nur ein Irrtum gewesen sein? Dann hatte sie Markus nur mit einem anderen Mann verwechselt? Auf eine derlei fatale Wirkung von Beerenpunsch würde sie künftig gern verzichten.
Paula wusste nicht, ob sie Markus um den Hals fallen oder im Erdboden versinken sollte.
„Jetzt lass sie schon rein“, zischte ihr Clea ins Ohr und knuffte sie in den Rücken.
„Na gut“, gab sich Paula geschlagen und gab ihren Platz als Zerberus auf. „Ich kann Tee oder Kaffee und Eier mit Speck anbieten.“
Beim anschließenden Frühstück, das sie ins Wohnzimmer verlegen mussten, da für sieben Leute kein Platz in der Küche war, wurde viel gelacht. Jeder diskutierte und erzählte seine Sicht der Dinge und alles zusammen hätte eine gute Vorlage für eine Verwechslungskomödie gegeben. Die zwei Sektflaschen, die zur Feier der Wiedervereinigung geköpft wurden, waren rasch geleert. Gegen Mittag löste sich das Grüppchen auf, jeder hatte noch das eine oder andere im alten Jahr zu erledigen. Auch Markus musste los, weil er, wie er sagte, für Frau und Kind etwas besorgen müsste. Paula kniff ihm in den Hintern und drohte, noch handgreiflicher zu werden, wenn er sie weiter aufziehen würde. Markus freute sich über die Drohung und versicherte ihr, dass er sie heute Abend, wenn sie gemeinsam zur Generalprobe des Neujahrskonzerts gingen, immer wieder daran erinnern würde.
Als alle weg waren, setzte sich Paula an den Laptop und begann, beschwingt von Sekt und neuer Verliebtheit, alles, was sie bisher Brauchbares für Urbans Biografie herausgefunden hatte, zusammenzustellen. Der Alkohol sorgte für zahlreiche Tippfehler, aber sie konnte unglaublich gut formulieren. Sie war glücklich. Heute war Silvester, das Jahr endete in rund fünfzehn Stunden. Zeit genug, um dieses Projekt, das ihr die letzten Wochen des Jahres verleidet hatte, abzuschließen.
Es interessierte sie nicht mehr, was irgendwelche Fachleute oder Künstler, die noch auf der Telefonliste standen, die Ada ihr zusammengestellt hatte, über Urban zu sagen hatten. Sie wollte nichts mehr damit zu tun haben, zumal ihr alles wie eine einzige große Lüge erschien. Sollte jemand anderer die Interviews machen. Sie kopierte, ergänzte, korrigierte. Sie arbeitete wie besessen, und gegen fünf Uhr nachmittags hatte sie alles zusammengefasst, was für Santos Biografie verwertbar war.
Es war ihr egal, was Santo dazu sagen würde. Sie schwebte auf Wolke sieben, und solch banale Dinge wie diese Biografie waren ihr im Moment völlig egal. Immerhin lieferte sie ihm siebenundfünfzig Seiten ab, die alle wichtigen Stationen im Leben des Stefan Urban aufzeigten und die mit Anekdoten und Bildern angereichert werden konnten.
Sie las den Text noch einmal durch und brachte da und dort einige Verbesserungen und Korrekturen an. Dann schrieb sie eine E-Mail an Santo und Ada, hängte das Dokument an, und um sechs Uhr und zwölf Minuten drückte sie auf den Sendeknopf.
Gleich darauf rief Paula Ada am Handy an, um ihr Bescheid zu geben. Nicht einmal Santo erwartete von seinen Mitarbeitern, dass sie zu Silvester arbeiteten.
„Hast du dir das gut überlegt?“, fragte Ada.
„Ja. Wie du ja weißt, war ich gestern bei Santo.“
„Echt? Davon weiß ich ja gar nichts. Erzähl.“
Paula würde sich hüten. Wenn Santo Ada nicht Bescheid gegeben hatte, dann würde sie sich nicht einmischen.
„Wir haben nur besprochen, dass ich ihm alles, was für die Biografie brauchbar ist, schicke, und er wird dann einen repräsentativen Bildband daraus mache. Alles andere, was wir herausgefunden haben, werden wir für uns behalten. Auf keinen Fall soll es von den Medien breit getreten werden, das bringt keinem was. Ich werde dir gelegentlich alles genau erzählen.“
Ada murmelte etwas von „Spielverderberin“ und „Geheimniskrämerin“. „Hast du eigentlich schon mit der Znan gesprochen?“, fragte sie.
„Ja, gestern.“
„Hat sie etwas mit deinem plötzlichen Rückzieher zu tun? War sie vielleicht gar die Mörderin?“, versuchte Ada doch noch den Grund für Paulas Entscheidung herauszubekommen.
„Nein, sie war es nicht.“ Paula war froh, dass sie nicht lügen
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