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Schafkopf

Schafkopf

Titel: Schafkopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tommie Goerz
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Wirklichkeit wird vom gewünschten Ergebnis her gedacht, da hat sie keine Chance. Ein Teufelskreis beginnt, das Leben dreht sich nach unten und immer weiter nach unten, nichts ist mehr so, wie es mal war, und schließlich geschieht ein Verbrechen. Aber Schuld ist nicht die Ursache, sondern der Auslöser, frei nach Franz Beckenbauer.«
    Behütuns wusste nicht, wie ihm geschah. Schmunzelte der Psychologe, oder war er irr? Was war das für eine Art von Humor? Dachte der immer so?
    Der Psychologe deutete auf den Korb seines Fahrrads. »Komme seit Jahren, wenn es das Wetter erlaubt, in den warmen Monaten zum Schwimmen her. Mal abends, mal morgens. Macht den Kopf frei und die Glieder locker.«
    Behütuns brummte. »Setzen Sie sich. Und guten Morgen.« Sie gaben sich die Hand.
    »Sie werden mich doch jetzt nicht um mein Schwimmen bringen, oder? Bin ich verdächtig? Leider«, und damit wurde er förmlich, »habe ich nicht viel Zeit. Würden Sie mir vielleicht Ihr Handy leihen, damit ich meinen Anwalt …«
    Jetzt lachten beide gemeinsam. Gefühl hatte Verstand besiegt, Verstand war für nichts gut, Verstehen kam nicht von Verstand. Verstehen war etwas anderes, fand woanders statt, auf keinen Fall im Kopf.
    »Kann man denn hier überhaupt schwimmen? In dieser Brühe?«
    Der Psychologe beugte seinen Kopf nach vorn, dem Kommissar entgegen, und flüsterte bedeutungsvoll: »Psssst. Und nicht weitersagen! Das Wasser ist irrsinnig verdreckt. Kloake in den Köpfen der Menschen. Nicht einer will mehr den Fuß hier reinhalten. Nur 20, vielleicht 25 Verrückte gehen hier schwimmen. Früher war es hier immer voll. Bis die Presse endlich mal schrieb, dass das Wasser ungesund sei, voll giftiger Algen und Keime.« Er wurde noch geheimnisvoller, flüsterte beinah. »Der Redakteur geht heute noch hier schwimmen! Das mit der Kloake hat gewirkt. War ein abgekartetes Spiel. Die Wirtsleute haben dann die Wiese nicht mehr gepflegt, zwei oder drei Jahre lang, ließen hier Schafe weiden. Für jeden, der herkam, war das Kloaken-Bild damit bestätigt. Schafsscheiße am Ufer, Blätter auf der Wasseroberfläche. Was einmal im Kopf ist, will nicht mehr raus, das ist so bei den Menschen. Der Mensch hält daran fest. Wissen wird dann zur Wirklichkeit, hat aber oftmals nichts mit ihr zu tun. Ist trotzdem Wirklichkeit. Schön paradox.«
    Der Psychologe Dr. Hartung lehnte sich zurück. »Ha! Und ich gehe in der Kloake schwimmen! Kommen Sie mit, es wird Ihnen guttun.«
    Er stand auf und begann sich umzuziehen, hing seine Kleider über sein Rad. Schräg schien die Morgensonne auf den Weiher. Behütuns lehnte dankend ab. Ein Beamter, zur Überwachung der Absperrung der abseits liegenden Fundstelle der Leiche am anderen Ende der Wiese abgestellt, wollte Hartung den Zugang zum See verwehren. Behütuns winkte ab. Hartung stieg an den Stufen ins Wasser. »Sie haben ja meine Nummer«, rief er dem Kommissar noch zu, dann tauchte er in den See. Mit kraftvollen Zügen zog er davon und verschwand hinter dem Haus. Lange noch trieben die Wellen des Schwimmers zum Ufer hin. Dann lag der See wieder ruhig.
    Behütuns saß noch eine Weile da. Er würde den Psychologen sicher wieder befragen, und er freute sich schon auf die Begegnung. Dann verabschiedete er sich vom Einsatzleiter der Erlanger Polizei, verließ den Ort des Verbrechens und ging hinüber zum Parkplatz, wo sein Wagen stand. Der Raps war bereits verblüht, das Korn stand noch grün und der Mais drüben nicht einmal kniehoch. In wenigen Wochen wäre der Raps trocken und braun, das Korn gemäht, dachte er, dann wären hier Stoppelfelder und der Mais so hoch gewachsen, dass man selbst stehend kaum mehr über ihn hinwegblicken würde können. Wie schnell die Zeit immer vergeht. Aber was nützt dir das, wenn dir der Bauch zerfetzt wird, wenn du ermordet wirst?
    Was Kommissar Behütuns anschließend von dem Assistenzarzt in der Gerichtsmedizin erfuhr, war selbst für einen erfahrenen Beamten wie ihn nicht ganz leicht zu ertragen. Es wühlte ihn auf, und er spürte, dass es ihn persönlich berührte, und zwar unangenehm. Er begann, sich emotional gegen den Täter zu stellen. Keine guten Voraussetzungen für überlegte Ermittlungen. Er musste auf sich aufpassen, dies an sich beobachten. Mehr konnte er nicht tun. Er kannte diesen Moment schon von anderen Ermittlungen. Er kam in eine kritische Phase.
    Der Tote am Keller, Joachim Sauer, darüber informierte man ihn, sei bei lebendigem Leib regelrecht gesprengt worden. Er

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