Schafkopf
dem Stadiongelände des 1. FC Nürnberg zwei Bratwurststände besessen. In seiner Jugend und darüber hinaus sei er beim 1. FC Nürnberg Amateurboxer gewesen, und aus dieser Zeit haftete ihm auch ein wenig der Ruch der Halbwelt an. Zumindest habe das ihre Mutter erzählt, auch dass er immer mal wieder zusammen mit Bordellbetreibern gesehen worden sei. Behütuns hakte dies erst einmal unter der Rubrik Gerüchte ab, ihm war aber klar, dass er solche Aussagen auch würde überprüfen lassen müssen. Wegen der Würste an seinen Bratwurstständen übrigens, erzählte die Tochter noch ganz bedeutungsvoll, weil in dieser Geschichte ein großer Name vorkam, soll er »fei« einmal in einen Prozess gegen die in Franken sogenannte »Bratwurstmafia« verwickelt gewesen sein – eine Gruppe von Geschäftsleuten um den berühmten Uli Hoeneß, Mitinhaber mehrerer Bratwurstfabriken hier in der Region, die sich das Monopol an der Marke »Nürnberger Bratwurst« teilten. Niemand außer ihnen dürfe für seine Würstchen diese Bezeichnung führen. Darüber aber wisse sie nichts, fügte sie gleich mit an, und sie könne dazu eigentlich nichts sagen. Es schien Behütuns, dass ihr während ihrer Erzählung plötzlich klar geworden war, dass ihre Geschwätzigkeit nicht mehr von den Fakten, sondern viel eher vom Empfinden ihrer eigenen Wichtigkeit getrieben wurde und sie besser irgendwie die Flucht aus ihren Aussagen anträte. Behütuns aber machte sich Notizen und würde dies durchaus überprüfen lassen. Im Moment war alles von Bedeutung. Und immerhin hatte er hier gleich eine ganze Menge Ansatzpunkte für Ermittlungen und musste nicht, wie bei dem Mord am Bierkeller, erst einmal viel Zeit investieren, um die Identität der Person festzustellen. Hier fühlte er sich gleich von Anfang an schon viel weiter, und außerdem zeichneten sich interessante Verbindungen zwischen den beiden Fällen ab. Dass hinter beiden Morden derselbe oder dieselben Täter steckten, stand für ihn außer Frage. Aber selbst das wäre noch zu überprüfen, die Handschrift immerhin schien relativ gleich.
Behütuns lehnte sich zurück und blickte zum See. Inzwischen war es halb neun, der Verkehr auf dem Frankenschnellweg hatte nachgelassen, die meisten Pendler aus dem Hinterland waren inzwischen wohl an ihren Arbeitsplätzen, und wenn er in der nächsten halben Stunde losführe, würde er aller Voraussicht nach staufrei ins Präsidium kommen. Ob es endlich etwas Neues aus der Gerichtsmedizin gäbe? Kommissar Behütuns rief im Präsidium an und ließ sich mit Jaczek verbinden.
Peter Dick meldete sich am anderen Ende.
Nein, Jaczek sei noch nicht im Büro.
Natürlich – die halbe Stunde Lebensverspätung! Behütuns konnte sich damit nicht anfreunden, und deshalb vergaß er es wohl auch immer wieder. Und eigentlich, dachte er sich, war das doch ziemlich paradox: Derjenige, der von ihnen allen der Genaueste und letztlich Gewissenhafteste war, scheiterte gerade an dieser Gewissenhaftigkeit, weil sie ihm Zwänge bereitete, die die Schnittstellen zur Außenwelt hin sprengten. So verursachte dieser Zwang zur Genauigkeit eine ständige Ungenauigkeit, und diese zeigte sich in seinem Terminverhalten. Behütuns huschte ein Lächeln übers Gesicht. Solche Gedanken hatte er am liebsten. Wenn die Logik des Geschehens gerade dieses auf den Kopf stellte, und wenn hinten etwas ganz anderes herauskam, als man vorne gedacht hatte. Trotzdem würde er Jaczek wieder einmal dazu anhalten müssen, mehr auf seine Pünktlichkeit zu achten.
Es liege noch kein endgültiger Bericht aus der Gerichtsmedizin vor, informierte ihn Dick.
Dann werde er, Behütuns, einmal dort anrufen, vielleicht könne er ja auch gleich vorbeifahren. Die Gerichtsmedizin der Uni Erlangen lag ja beinahe auf seinem Weg.
Für elf Uhr beraumte Behütuns eine Lagebesprechung an, Jaczek solle doch bitte pünktlich sein, dass man ihm das auch ausrichte. Dann legte er auf.
Über dem freien Feld zwischen Autobahn und Weiher durchkurvte ein Kiebitz die Luft mit seinem abenteuerlichen Flug, weiter drüben war noch ein zweiter. Im Vordergrund saß auf dem Stromdraht ein Kuckuck und rief. Ganz nah der Klang, ganz deutlich die dunkle Färbung der Stimme, das beinahe Rauchige. Im vergangenen Jahr hatte er einmal einen Kuckuck beobachtet, der nicht so scheu war wie diese Vögel sonst. Denn in der Regel hörte man den Kuckuck nur, mal von fern, mal von nah, doch man bekam selten einen zu sehen. Dieser hier aber schien keine sehr
Weitere Kostenlose Bücher