Schafkopf
wart aweng«, und deutet mit dem Kopf zum Tisch. Hellwach ist sie jetzt, sitzt aufrecht auf ihrem Stuhl. Gleich wird sie wieder in die Küche müssen, den Eimer holen. Jeden Freitag dasselbe Spiel. Die anderen rücken schon ein wenig zurück. Sie sind wachsam. Der Schorla blass.
Schmidla kommt raus, ganz unkonventionell. Doch er hat Gründe, sprich: die Karten dafür. Er spielt Schell-Unter an, Herz-Zehn, Herz-König fallen, der Schorla nimmt den Stich mit dem Alten Unter. Dann kommt er raus, spielt mit Schell-Ober nach, und Schmidla greift ein: sticht mit Herz-Ober rein, der Risch hat noch Herz-Neun, der Maschder schmiert Schell-Ass, vom Schorla kommt Rot-Unter. Und Schmidla zieht, den Alten, den Grünen. Seine Mannen schmieren. Grün-Ass, Grün-Zehn, Eichel-Ass, Schell-Zehn. Vom Schorla kommen zwei Unter – »Siehmerachzig! Mehr schaffen wir nicht«, und schmeißt die Karten rein. »Schneider frei hast g'rad noch g'schafft, mehr nicht. Da spielt der ohne drei! Was hast'n dir da dabei gedacht?« Er rückt noch weiter ab, der Schorla fängt an zu beben. Die Mari klappert mit der Küchentür und geht hinaus. Schon hört man Wasser laufen.
Das Wetter draußen ist ruhig.
»Spiel Herz macht fünfundzwanzig«, fängt Schmidla an zu rechnen, »dann ohne drei macht vierzig … und eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, siebenmal gelegt, ach Gotterla, das wird a Rechnung, halt dich fest. Ob ich das noch schaff? Ich versuch's mal. Also: vierzig, achtzig, einssechzig, dreizwanzig, sechsvierzig, zwölfachtzig, vierundzwanzig – nein: fünfundzwanzigsechzig, FÜNFZIGVIERZIG!«, und zählt dabei jeden Leger mit den Fingern ab. »Ja, leck mich doch am Arsch! Das sind ja über hundertfünfzig Mark fürn Usch! Brunzkaddlerlnaah! Verdienst'n du so viel in der Wochn?«
Draußen ist es ruhig.
Auch das Wirtshaus schweigt.
Nur der Schorla bebt und bebt und bebt, die Tür zur Küche klappert von der Mari mit dem Wassereimer, der Schorla bebt, jetzt hebt es ihn, er bebt noch einmal auf – dann bricht es aus ihm heraus. Ein großer Schwall, quer über den ganzen Tisch. Die Kartler springen auf, die Stühle fallen laut nach hinten, ein Glas kippt um, ein zweiter Schwall entleert sich aus dem Schorla. Dann hält er sich mit beiden Händen am Tisch fest und schaut verstört umher. Wie hingeschmissen sieht er aus und blickt von einem zum anderen. Dann schüttelt er den Kopf. Die Mari ist schon da, räumt Gläser und Karten weg, schiebt Stühle zur Seite und schwingt den Lappen. Sie kennt das schon, jeder kennt das hier, denn Schorla kotzt an jedem Freitagabend. Das ist eben so beim Schorla. Man denkt sich nicht viel dabei, schaut, dass man mit der Hose aus dem Schwall herauskommt, hält die Luft an, bis die Mari kommt und es wegmacht. Erst vom Tisch, dann von den Stühlen, Bänken und schließlich noch vom Boden. Dann kriegt jeder frisches Bier, der Schorla zahlt eine Runde und weiter geht der Abend.
Kaum fünf Minuten später ist im Wirtshaus alles wie zuvor.
»Magst jetzt dein Käs'brot noch?«, fragt die Mari den Usch.
»Ja, mach mir eins, aber wasch dir vorher die Händ'«, und lacht.
»Ja, mach mir auch eins«, ruft der Maschder.
»Und mir machst Bratwürst', Mari«, ruft der Schmidla hinterher, »bloß zwei und bloß mit Brot.«
Auch an den anderen Tischen karteln sie schon wieder. Knallen die Karten auf den Tisch, lachen, werden immer wieder laut. Normaler Freitagabend beim Stock.
Auch der Schorla hat sich schon wieder gefangen.
»Mach mir auch a Käs'brot, Mari«, ruft er in Richtung Küche, »ich brauch jetzt eins.«
»Deins schwimmt im Eimer, hol's dir raus. Naah, Schorla, du kriegst von mir heut keins mehr, du hast doch deins schon g'habt«, schallt es lachend aus der Küche. »Es hat dich bloß ned g'mocht.«
Die anderen lachen. Niemand ist dem Schorla hier fürs Kotzen bös'. Der ist halt so, das ist halt so und basta.
»Also, zahl' an Zehner an jeden«, sagt der Schmidla. »Auch wenn's ahnerfuchzigzwanzig g'macht hätt.« Er hatte noch mal nachgerechnet, aber zehn Mark waren die Obergrenze für ein Spiel, das war die Regel.
Zeitverlust beginnt mit erster Eile am Tag
Peter Handke
3. Kapitel
Kommissar Behütuns hatte eine Vorliebe für das Skurrile. Die Komik des täglichen Lebens, ob beabsichtigt oder nicht, das war ihm egal. Und er hatte eine Vorliebe für – ja, wie könnte man dazu sagen? – das »andere«. Das, was ein bisschen daneben lag. Die Silberblicke des Lebens. Das Subkutane. Vielleicht lag das
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