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Schalmeienklänge

Schalmeienklänge

Titel: Schalmeienklänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Perwold hoch, der wie erstarrt über mir stand, und ich sah, daß, auch wenn er und der Diener planten, ein Königreich zu Fall zu bringen, auch wenn sie vorhatten, mich umzubringen, sofern es keine Aufmerksamkeit erregte, auch wenn Leonore große Bedeutung für ihre Pläne hatte, sie doch nicht mit ihr als einer Frau kurz vor der Niederkunft umgehen konnten, und so hatten sie sie mir, ihrer Gefangenen, überantwortet, von der sie Hilfe als Frau erwarteten.
    Ich legte meine Hand auf Leonores Leib. Das Kind im Innern bewegte sich noch immer, doch mir kam es vor, als hätten sich Leonores Muskeln selbst nicht angespannt. Bräunlicher Speichel trat schäumend aus ihren Mundwinkeln, doch es handelte sich um eine geringe Menge. Nach einem kurzen, albernen Zögern schlug ich die Röcke der Königin hoch. Der Diener schaute weg; Perwold, so bemerkte ich,wandte kein Auge ab. Zwischen ihren Beinen war kein Blut zu sehen, und ich streifte ihr Gewand wieder herab. Der feine Stoff fühlte sich unter meiner Hand so luftig wie Spinnweben an.
    Nun lag sie ruhiger. Ihr Bauch hatte sich beruhigt. Ihr Gesicht nahm wieder ihre eigenen, zarten Züge anstelle der groben Maske an, zu der es im Augenblick ihres Schreis geworden war.
    »Es ist nicht das Kind«, erklärte ich. »Ihre Zeit ist noch nicht gekommen. Die Droge hat das vermutlich ausgelöst.«
    Beruhigt, daß nur das Gift und nicht die Geburt seiner Schwester zu schaffen machte, kniete Perwold neben sie. Ich stand auf. Die Tür zu der Zelle war nicht verriegelt; in einer Ecke stand innerhalb meiner Reichweite ein Stock; Perwolds Kopf beugte sich direkt unter mir, und sein Haar glänzte von den süßen Ölen, wie reiche Männer sie sich leisten können. Aber der Diener beobachtete mich aus harten Augen, die seit Leonores letzter Geschichte noch härter geworden waren, und mir wurde klar, daß die Gelegenheit überhaupt keine war.
    »Brant hat sie«, stöhnte Leonore. »Er hat die Weißen Schalmeien. Ard hat sie ihm gegeben.« Sie setzte sich auf zu einem jämmerlichen, auf dem feuchten Boden zusammengekauerten Haufen.
    »Nein«, entgegnete Perwold. »Nein. Wir haben ihr Denken völlig entleeren lassen, während sie gehäutet wurde… nein. Er hat sie noch nicht. Sie wußte selbst nicht, wo sie sich befanden.«
    »Dann hat sie ihm Einzelheiten und Bruchstücke ihres Wissens mitgeteilt, die er zusammengesetzt hat, und dann entdeckte er selbst, wo die Schalmeien lagen. Ja… sie gab ihm Wurzeln, hast du nicht gesehen? Wurzeln. Dem entnahm er die Antwort, die sie selbst nicht finden konnte. Wurzeln.« Ihr Blick wanderte zu mir. »Ich wußte nicht, daß du eine so poetische Phantasie hast, Geschichtenspielerin.«
    Ich selbst auch nicht. Brant hatte mir nichts von Wurzeln gesagt. Auch nichts von Pilzen und Dolchen – woher war die Geschichte, die Leonore geschaffen hatte, nur gekommen? Aus Brants Worten: Er hatte mir erzählt, daß er die Weißen Schalmeien gefunden hatte, von Resten in meinem Denken und Bildern im Denken Leonores. Vielleicht bereicherte sich eine Geschichte aus zweiter Hand an allen Gedankenwelten, durch die sie zog. Leonore kannte diese Künste, und sie schien – ich würde sagen verzweifelt, wenn ich sie für Verzweiflung für ausreichend erschütterbar gehalten hätte – überzeugt von der Wahrheit dessen, was sie gesehen hatte.
    Aber sie wußte nicht, daß Brant sein eigenes Pferd umbrachte, um mit plausiblem Grund zu spät vor Rofdal zu erscheinen, oder daß er – sofern dies der Wahrheit entsprach – mich mit der Absicht geschlagen hatte, daß Leonore es zu sehen bekäme.
    Wieder kamen schwere Zweifel in mir auf. Ich spürte sie in meiner Brust wie einen harten Brocken, den ich geschluckt hatte. Brant hatte mich belogen. Auch diese Geschichte war von ihm arrangiert worden, damit ich sie glaubte und benutzt werden konnte, um Leonore die Geschichte zuzuleiten. Er hatte mich in Wirklichkeit am Leben erhalten, damit ich diese eine Geschichte der Königin zuspielte… und es war eine Lüge.
    Brant hatte die Weißen Schalmeien gar nicht gefunden.
    Ich hätte nicht sagen können, woher ich das wußte. Es hätten ebensogut weitere Selbsttäuschungen, weitere Fehlurteile, weiteres absichtlich von Brant gestiftetes Durcheinander sein können. Aber ich glaubte es nicht. Diese Überzeugung stammte sowie manche Gedanken von völlig jenseits des eigenen Denkens und war aus irgendeinem sicheren und weniger chaotischen Äther geboren und dem menschlichen Denken auf einem

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