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Schalmeienklänge

Schalmeienklänge

Titel: Schalmeienklänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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um den Lords Geschichten zu erzählen?«
    »Ist es denn so in den Silberstädten?« spöttelte Pial. »Daß keiner seine ihm zugewiesene Arbeit hat, sondern zu allen Aufgaben herumgeschubst wird, die gerade anfallen?«
    »Ich bin eine Geschichtenspielerin«, sagte ich, »und habe nicht das Glück, in Veliano richtig zu Hause zu sein. Ich mache mich bei denen nützlich, die das Recht haben, hier zu leben.«
    Sie nahmen die Schmeichelei an. Sie begannen alle gleichzeitig zu plappern, mir von den Annehmlichkeiten des Lebens in Veliano zu erzählen, von dem aufregenden Erlebnis, bei Hof zu dienen anstatt in den Dörfern, wo sie geboren waren. Ich begriff, daß die neue Ausfuhr an Velianoedelsteinen ihr Leben ebensosehr verändert hatte wie das der Lords und Kaufleute, zumindest in ihren eigenen Augen, und daß sie sich der vorangegangenen Generation, deren Angehörige nie über das nächste Dorf hinter ihren steinigen Ackern hinausgereist waren, weit überlegen fühlten. Sie standen oder hockten zwischen den kühlen Bäumen, hatten billige Bänder in ihr Haar geflochten, lachten mit ihren beerengefüllten Mündern und erzählten mir, daß das wunderliche Zeiten waren, Zeiten des Reichtums, die besten Zeiten, die Veliano jemals gesehen hatte. Rofdal hatte die Zinsabgaben gemindert, Jahrmärkte und Festzüge unterstützt und seine Soldaten, Bediensteten und königlichen Bergleute sehr gut bezahlt. Für sie war er ein König mit ausreichend herrschaftlichem Wesen, um ihren Respekt zu verdienen, und genügend Großzügigkeit, ihre derbe Zuneigung zu erwerben. Daß seine Macht über Leben und Tod absolut war, entsprach nur seiner königlichen Pflicht, keiner stellte sie in Frage. Keiner schien zu wissen, daß es in den Silberstädten nicht mehr so gehandhabt wurde. Keiner erwähnte die fünf Hinrichtungen durch Häutung, die in den vergangenen Jahren stattgefunden hatten, und niemand erwähnte Königin Leonore, bis Agla wieder einfiel, daß ich eine Frage gestellt hatte.
    »Die Königin wird der Stern des Maskenfests«, meinte sie. Ich schaute verwirrt drein, und Agla lachte und freute sich an ihrem Mehr an Wissen. »Der Stern!« Sie deutete nach oben. Über uns waren nur grüne Blätter zu sehen, und die anderen begannen, sie mit Beeren zu bewerfen.
    »Das ist aber nicht der Himmel!«
    »Agla glaubt, die Sterne schienen auf den Unterseiten der Blätter!«
    »Nein. Sie glaubt, nun wäre es Nacht, und sie könnte ihren Kaufmann sehen!«
    Die Mädchen schüttelten sich aus vor Lachen. Der nichtigste Anlaß brachte sie wieder zum Kichern. Sie rekelten sich im kühlen Schatten auf dem moosigen Boden und lachten, bis ihnen die Tränen kamen, dann schauten sie einander an, begannen wieder zu lachen und fielen einander um den Hals – gesunde, junge Geschöpfe, denen der Mittsommer im Blut rauschte.
    Ich pflückte unverdrossen Beeren und versuchte, meine Lippen zu einem Lächeln zu zwingen. Die Lippen waren trocken. Ich leckte darüber, sie trockneten, ich pflückte Beeren und leckte mir erneut die Lippen. Meine Lippen wollten nicht lächeln.
    »Der Stern T’Nig«, erklärte Agla, als sie wieder sprechen konnte. »Aus der Legende von der Gründung Velianos.«
    Ich warf ein: »Ich dachte, T’Nig war ein Wundereber. Das Kostüm…«
    » Vorher«, belehrte mich Pial ungeduldig und erzählte mir die Geschichte.
    T’Nig war ein legendärer, mächtiger Geist, der in den Bergen immer wiedergeboren wurde, erst als geflügelter Wolf, dann als unfällbarer Baum, als grundloser See und mehrere andere unglaubliche Dinge, bis er schließlich als gewaltiger Eber geboren und von einem unbekannten Krieger getötet wurde. Dann gründete der unbekannte Krieger das Königreich von Veliano, und die Überreste von T’Nig wurden als siebenzackiger Stern an den Himmel verbannt, unerklärlicherweise für weiblich erklärt und scheinen nun jede Mittsommernacht ganz oben am Himmel.
    »Natürlich ist das alles Unfug«, schloß Pial. »Die Vier Schutzgötter sind diejenigen, die das Leben immer wieder neu schaffen.« Sie zuckte mit ihren hübschen Schultern in einer Geste wohligen Überlegenheitsgefühls. »Aber T’Nig ist ein schönes Kostüm.«
    »Für eine, die sie niemals gesehen hat!« kreischte Agla und schnitt Pial eine Grimasse. »Letztes Jahr hast du noch auf dem Land gelebt!«
    »Und bei unserem Dorfmaskenfest wurde ich zur T’Nig gewählt.« Pial lächelte selbstgefällig, aber die Mädchen brachen wieder in Lachen aus, so daß sie wütend

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