Schalmeienklänge
Perwolds Augen funkelten im Laternenschein. Leonore trank aus einer Flasche, die der Diener ihr reichte, Wasser und Wein, lehnte sich erschöpft in ihren Stuhl zurück und ließ die Arme seitlich herunterbaumeln. »Brant hat seinen Balg fortgeschickt. Demnach wußte er, Perwold… er wußte, daß wir ihn im Verdacht hatten. Er wollte uns nichts in die Hand geben, das wir gegen ihn hätten benutzen können, keinen Hebel, um ihm das abzuringen, was er von den Weißen Schalmeien weiß. Er muß sich Sorgen um den Jungen gemacht haben.«
Perwold sagte ungläubig: »Um einen Bastard von einer Geschichtenspielerin? Ich glaube, du bildest dir etwas ein, Leonore.«
Sie richtete sich auf ihrem Stuhl auf. »Nein. Warum hätte er das Kind weggeschickt, wenn nicht, um es zu beschützen?«
»Um sie unter Druck zu setzen. Ein Keil kann ebenso anstacheln wie hochhebeln, Leonore.«
Die Königin sah mich nachdenklich an. »Das ist wahr. Oder vielleicht ist sie selbst ein Keil, Perwold. Wenn Brant sich etwas aus einem Bastard macht – warum nicht auch aus der Erinnerung an eine Jugendliebe?«
»Brant? Der ist doch nicht sentimental.«
»Aber auch nicht dumm. Ich habe ihn mir manchmal angesehen…«
»Auf welche Weise angesehen?« wollte Perwold wissen, und ich entnahm seiner Stimme Unterschwelligkeiten und Spitzen. Leonore lächelte.
»Nicht, wie du denkst.«
»Das wäre auch äußerst unklug.«
Scharf erwiderte sie: »Halt mich doch nicht für dumm, Perwold. Ich mindere doch nicht die Kraft der Bewußtseinskünste, indem ich glaube, sie wären durch Lust zu erschüttern. Dazu hätte Brant von dieser verrückten Hexe Ard viel zuviel gelernt. Ich werde sorgsam darauf achten, mich nicht alleine mit ihm im gleichen Raum zu befinden oder sonst irgendwo, wo er die Hände spreizen kann.«
»So, wie diese Hure die Beine gespreizt hat. Glaubst du tatsächlich, man könnte sie benutzen, damit er ausplaudert, was er von…«
»Halt den Mund«, befahl Leonore. Und dann nachdenklicher: »Er hat keine rechtmäßigen Kinder, Cynda ist unfruchtbar. Selbst ein unsentimentaler Mann könnte zögern, der Frau am lebendigen Leibe die Haut abziehen zu lassen, die ihm den einzigen Sohn geboren hat.« Sie drehte den Kopf und schaute mich an. Durch die Benommenheit hindurch, welche die achtlose Erwähnung der Folter in mir ausgelöst hatte, sah ich ihre beiden Gesichter, die identisch in Form und Farbgebung waren, jedoch ganz unterschiedlich in ihrem Ausdruck. Leonore betrachtete mich nachdenklich, wägte Möglichkeiten ab, wie man den Fleischertrag einer Kuh abschätzt, die noch auf der Weide steht. Aber Perwolds Augen funkelten, und auf seinem Gesicht lag der Schimmer wollüstiger Vorfreude. Für den Bruder der Königin wäre meine Schindung ein sinnliches Vergnügen.
Leonore zog eine andere Flasche aus ihrem Gewand, eine kleinere, deren Hals mit Velianoedelsteinen besetzt war, und trank sie leer. Die erste war nicht unerschöpflich gewesen, auch wenn sie damit zwei Geschichten dargeboten hatte – beide durch mich –, und keine Geschichtenspielerdroge, die mir bekannt war, ermöglichte mehr als eine. War diese Dosis so stark wie die erste? Wieder zeigte ihr Körper die gleichen ruckartigen Reaktionen und selbst durch meine Benommenheit und Furcht hindurch bewunderte ich ihre Fähigkeit.
»Geschichtenspielerin, du warst die ganze Nacht hindurch mit Lord Brant zusammen, nicht war… durch diesen ›Unfall‹ mit seinem Pferd. Ich hatte ihn angewiesen, dich direkt zum Palast zu bringen, doch das tat er nicht. Wohin ging er? Zeig mir, was heute nacht zwischen euch abgelaufen ist, Geschichtenspielerin. Wart ihr wieder Liebende? Zeig mir die vergangene Nacht, Geschichtenspielerin.«
Und ich zeigte sie ihr. Zwischen ihren Händen führte Brant mich zur Hütte, holte mit der Faust aus und schlug mich immer wieder. Ich lag auf der feuchten Erde, und das Gesicht der geschundenen Fia-Figur drückte alles aus, was ich in mir selbst nicht entdeckt hatte: Furcht und Schmerz und den schrecklichen Zweifel, ein solches Fehlurteil gefällt zu haben, daß der Glaube an die eigene Urteilskraft ins Wanken gerät und fällt. Ich durchlebte noch einmal alles, was Brant mir angetan hatte.
Perwold lachte. »›Liebende!‹ Er bestraft sie, daß sie ihm seinen Sprößling gestohlen hat. Das ist dein Hebel, Leonore! Vermutlich würde er es mit Genuß sehen, wenn wir sie für ihn häuteten und ihm die Mühe ersparten.«
Aber Leonore war vor mich getreten und hatte
Weitere Kostenlose Bücher