Schalmeienklänge
bei den rohen Mythen zugeschnitten wurden, wie sie Velianos wirklichem Geschmack entsprachen. Graubraune, mit Gold durchwirkte Seide wurde von unermüdlichen Frauen zum Kostüm eines zweibeinigen Ebers mit Hörnern verarbeitet, der in einer Wiederaufführung der Legende von der Gründung Velianos durch einen heldenhaften Krieger getötet werden sollte. Rofdal selbst, so hieß es, würde sich unter der Maske des Helden befinden, obwohl niemand es mit Sicherheit wissen durfte. Getratsche und Spekulationen liefen so schnell um wie die Nadeln der Frauen; wer würde welche Rolle spielen, wer würde mit wem tanzen, wer war für welche Unterhaltung zuständig? Hühner wurden gerupft, Tiere geschlachtet, Teige angerührt, Gewänder und Umhänge maßgeschneidert, entworfen und vor den Rivalen versteckt.
Zwischen all diesen Torheiten ging ich umher wie die einzige wirkliche Fiebererkrankte zwischen lauter vor Aufregung fiebernden Kindern. Wie eine Kranke sah ich alles gleichzeitig mit einer erhöhten Sensibilität der Wahrnehmung für die Ereignisse und einer zunehmenden Abgrenzung gegen sie. Ich mußte mir alles merken, denn ich wußte nicht, welches Detail, welches herausgerutschte Wort, welche banale Zufall sich mir als nützlich erweisen konnte, Jorry zurückzubekommen. Verzweifelt hoffte ich, ich könnte ganz beiläufig mit den verschiedensten Leuten reden, bei den verschiedensten Aufgaben behilflich sein und dabei etwas über Brant, Leonore, Rofdal und Perwold erfahren, das mehr aus mir machen würde als die unbedeutende Münze, die zwischen ihren Händen umlief. Ich dachte außerdem, ich könnte von Orten hören, an die Brant Jorry geschickt haben könnte. Also erfüllte ich alle Aufgaben, die sich boten: Pferde striegeln oder Bodenbeläge nähen, Töpfe schrubben oder mit einer lachenden Gruppe Küchenmädchen in den Wald gehen, um saftige, wohlduftende Beeren zu sammeln, auf deren goldenen Häuten noch die frischen Blüten saßen. Das alles leistete ich mit einem kleinen Teil meines Denkens. Der Rest grübelte fieberhaft über Jorry und die Seelenjägerei, das Schinden und die Weißen Schalmeien.
Die Priester der Vier Schutzgötter schlenderten gelassen und teilnahmslos um das Schloß. Ich begriff, daß sie dieses sommerliche Maskenfest als eine harmlose Belustigung betrachteten. Vielleicht wurden hier Mythen aus den Anfängen der Zeit aufgeführt, aber die hatten mit den Schutzgöttern nichts zu tun, wie die Kreisspiele, die vielleicht sogar Könige mit ihren Kindern veranstalteten, nichts mit den Staatsgeschäften zu tun haben. Die Priester warteten nachsichtig, bis das Maskenfest vorüber wäre und die Männer und Frauen sich wieder ernsthafteren Riten der sommerlichen Gottesverehrung zuwenden würden. Ich beobachtete die Priester in ihren graubraunen Kutten mit den Levkojenstickereien, und es erschien mir unwahrscheinlich, daß ich viel und sie wenig über den tödlichen Kampf um alte Mächte wissen sollten, der sich hinter der betriebsamen Fröhlichkeit des Palastes abspielte. Sie wurden ebenso wie ich zu Zwecken benutzt, die sie nicht durchschauten. Als ich einmal an einem Priesternovizen auf seinem Weg zum Geheiligten Garten vorüberkam, wehte sein Umhang leicht im Wind und streifte meinen Arm. Ich sprang auf, als hätte ich mich verbrannt. Wäre dieser Novize (er hatte rosige Wangen und brauchte sich gewiß noch nicht zu rasieren) bereit, einen menschlichen Leib im Dienste seiner Götter oder seines Königs zu häuten? Hatte er es schon einmal getan? Noch Stunden später fühlte ich die Berührung durch den Wollstoff, und meine Haut kribbelte.
»Welche Rolle wird die Königin bei dem Maskenspiel übernehmen?« fragte ich Pial, das hellste der beerensammelnden Küchenmädchen. Sie ließ eine Beere in ihren Mund fallen, über die Zunge rollen und beäugte mich spöttisch.
»Cul, du hast aber wirklich keine Ahnung!«
»Sie ist eine Fremde«, meinte eines der anderen Mädchen. »Wie die Händler von der Karawane. Woher sollte sie es wissen?«
»Agla macht sich für Fremde stark – insbesondere für Händler«, bemerkte ein drittes Mädchen verschmitzt, und alle lachten, warfen einander Seitenblicke zu und schlugen sich die Finger vor den Mund.
Agla raschelte mit ihren Röcken, schaute selbstgefällig drein und bemühte sich, weiter im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. »Sie ist ja nun auch einmal etwas anderes! Wie viele von uns gehen von den Hühnern zu den Pferdeställen und in den Großen Saal,
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