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Schalmeienklänge

Schalmeienklänge

Titel: Schalmeienklänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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ruhigen Lichtstrahl übermittelt. Brants übriges Verhalten beunruhigte mich immer noch, aber in diesem Punkt war ich sicher genug, meinen Kopf zu verwetten. Es war keine Geschichte, sondern die Wahrheit: Brant hatte gelogen. Er war nicht im Besitz der Weißen Schalmeien.
    »Wenn er sie hätte«, argumentierte Perwold, »hätte er sie inzwischen längst eingesetzt.«
    »Wie?« wollte Leonore wissen.
    »Ich an seiner Stelle hätte sie zumindest genutzt, um dir mit dem königlichen Erben eine Fehlgeburt zu bescheren. Einen Sturz die Treppe hinunter, einen selbstverschuldeten Schlag vor den Bauch, für den man nur dich verantwortlich machen könnte…«
    Leonore erstarrte; es kam mir vor, als fühlte selbst sie sich durch diese Worte angewidert. Dann erhob sie sich ungeschickt vom feuchten Boden. Sobald sie stand, stützte sie sich mit einer Hand auf den Arm des Dieners, legte die andere in ihr Kreuz und beugte sich leicht über ihre Hand zurück, um einen Augenblick das Übergewicht ihrer Schwangerschaft zu entlasten. Meine Muskeln erinnerten sich sehr gut an diese zeitweilige Erleichterung (ich hatte es ebenso gemacht, als ich mit Jorry schwanger gegangen war); zum Teil aus der körperlichen Erinnerung, zum Teil aus der Verkrampfung in meinen Fesseln drückte ich mir ebenfalls die Hand ins Kreuz und beugte meinen geschundenen Körper.
    Leonore sah mich. Etwas – vielleicht die gemeinsame Geste, die gemeinsame Last, die dahinter stand, vielleicht die Hilfe, die zu geben ich bereit gewesen wäre, hätte sie wirklich in den Wehen gelegen, vielleicht auch nur die Anstrengungen des Tages – ließ sie plötzlich sagen: »Mein Sohn muß König werden.« Ich hörte aus den Worten die widerwillig, aber nichtsdestotrotz gegebene Erklärung: »Dein Kind wurde in Gefahr gebracht, damit meines außer Gefahr ist und somit sicher einen sonst gefährdeten Thron erwirbt.«
    Leonore wandte sich ab. Sie wies Perwold an: »Schick sie in die Küche. Ordne Männer – Ebral zum einen, aber Menioc nicht, den will ich hier haben – für die Suche nach Brants Balg ab. Versucht es zuerst auf dem Paß nach Erdulin und nach Frost. Finde heraus, welche Leute gestern abend mit Brant vom Palast zur Taverne ritten, und laß sie herbringen und auf mich warten.«
    Perwold schlug vor: »Ich könnte sie verhören.«
    Ich dachte, daß sie keinen zu fassen bekämen, nur der tölpelhafte Bauernjunge war nicht mit Jorry gegangen, und ihn hatte Brant ins Dorf zurückgeschickt, wo immer und wie immer es war. Hatte Brant auch das vorausgesehen und Vorsorge getroffen, um das Leben seiner Männer zu schützen? Es erschien mir wahrscheinlich. Er gab Leonore so wenig wie möglich preis und lieferte ihr gleichzeitig über mich die Geschichte, daß er die Weißen Schalmeien besäße.
    Schmeichelnd wandte sich Perwold an seine Schwester: »Und in der anderen Angelegenheit?«
    »Die hat Zeit. Bedräng mich nun nicht, Perwold, ich bin am Ende meiner Kräfte!« Ihre Stimme stieg plötzlich in die Höhe; in dem dusteren, stinkigen Raum schien ihre Grelligkeit so hochzusteigen wie Dachsparren, um dann in Stücke zu brechen, in gefährliche, scharfkantige Splitter, die uns alle aufschlitzen konnten; Perwold widersprach nicht.
    Der Diener, dessen Namen ich immer noch nicht wußte, führte mich zur Küche, und man gab mir eine Pritsche in einem Raum, der sonst von den Waschfrauen benutzt wurde. Ich ließ mich schwer auf das Strohlager fallen und war zu müde, um mich um meine Prellungen zu kümmern, mich auszuziehen oder nachzudenken. Mein Körper tat mir überall weh, wo Brant mich geschlagen hatte, und mein Innerstes sehnte sich schmerzlich nach Jorry. Beides ließ nach, und ich schlief den Rest des Tages und die ganze folgende Nacht, ohne die Qual oder den Trost von Träumen.

 
5
     
     
    Dann begann eine merkwürdige Zeit. Der Hof bereitete sich auf das Sommerfest der Königin vor, und rund um mich her schwirrte alles vor emsiger Geschäftigkeit: lautstarke Energie, die zu einem sinnlosen Zweck vergeudet wurde. Damen nähten an Kostümen; die Zofen der Damen nähten an Kostümen; die Bediensteten der Zofen der Damen nähten an Kostümen; schließlich stichelten sogar die Küchenmädchen an den derbsten Stoffen, mit denen der Steg am Fluß bespannt werden sollte. Da gab es Kostüme für Geister, tote Könige und für Fabelwesen, die alle aus den kostbaren Tuchen gefertigt wurden, welche Händler aus zivilisierteren Königreichen brachten, und die für die Verwendung

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