Scham und Schamlosigkeit: Die wahre Geschichte der Marianne Dashwood (German Edition)
konnte. Niemals würde ich an der Seite eines Langweilers wie Mr Ferras oder eines alten Mannes wie Oberst Brandon glücklich sein können, davon war ich fest überzeugt. Ich wusste was ich wollte – wen ich wollte. Und ich war fest entschlossen, ihn zu bekommen. Ich würde Willoughby mit seinen eigenen Waffen schlagen. Ab jetzt würde ich nicht mehr der Fisch sein, sondern der Angler. Nun musste ich nur noch die richtigen Worte finden, um den ersten Köder auszuwerfen.
Ich schrieb einige Zeilen an Willoughby und faltete den Brief zufrieden lächelnd zusammen. Das Mädchen würde ihn später zu seinem Anwesen bringen. Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück und sah in den Himmel. Es würde bald dunkel werden, aber mir blieb genügend Zeit für einen kleinen Spaziergang. Mein Benehmen Elinor gegenüber reute mich und ich hoffte, mich mit ihr aussöhnen zu können, also ging ich nach unten, um sie im kleinen Salon aufzusuchen. Ich schickte das Mädchen mit dem Brief zu Willoughby und blieb an der Tür zum Salon stehen, als ich Stimmen hörte. Es handelte sich um Elinor und einen Mann. Ich versuchte um die Ecke zu spähen, als Mr Ferras aus dem Zimmer stürmte und mich fast umrannte. Er entschuldigte sich mit einer knappen Verbeugung und lief hinaus.
Elinor saß mit im Schoß gefalteten Händen auf dem Sofa und starrte auf den Boden. Als ich eintrat, hob sie den Kopf und lächelte schwach, aber ich konnte Tränen in ihren Augen blitzen sehen. Ich setzte mich neben sie und nahm ihre Hand, die eiskalt war.
“Elinor, was ist passiert? Hat Mr Ferras … Ist er dir zu nahe getreten?”
“Nein, Marianne, Mr Ferras ist ein Gentleman, er würde niemals … Es ist dumm von mir. Es ist nichts.” Sie atmete tief ein uns aus, bevor sie fortfuhr. “Fanny schickt ihn nach London.”
“Oh, das ist …” Ich sah Elinor ins Gesicht und sie senkte den Blick. “Ich wusste nicht, dass Mr Ferras dir so viel bedeutet.” Fanny, die Frau unseres Halbbruders und neue Herrin über Norland Park, war eine selbstsüchtige und hochmütige Person und Edward Ferras war ihr Bruder. Natürlich würde sie eine Verbindung zwischen ihm und Elinor missbilligen und alles dafür tun, dass sie unter keinen Umständen zustande kam. Und was wäre da naheliegender, als ihren Bruder fortzuschicken? “Diese falsche Schlange!”, rief ich aus. “Genügt es ihr nicht, dass sie uns um unser Eigentum betrogen hat, muss sie dich auch noch um dein Glück betrügen?”
“Marianne, so darfst du nicht reden.” Elinor putzte sich die Nase und besann sich ihrer Kinderstube. “John und Fanny haben nur bekommen, was ihnen rechtmäßig zusteht und wir müssen uns damit abfinden.”
“Wie kannst du sie auch noch verteidigen, nach allem, was sie uns … was sie dir angetan hat? Ich verstehe dich nicht, Elinor.”
Sie seufzte. “Ich weiß, Marianne. Aber ich bin nicht wie du. In Situationen, die man nicht ändern kann, muss man sich fügen. Was bringt es, aufzubegehren?”
“Du magst dich in dein Schicksal fügen, aber ich werde das ganz sicher nicht tun. Ich werde bekommen, wonach mein Herz verlangt.”
“Wovon sprichst du, Marianne? Doch nicht von Fanny oder Mr Ferras? Ist es Mr Willoughby? Hat er sich dir erklärt?”
“Nein”, antwortete ich schnell. “Aber er wird es tun.” Trotzig sah ich meine Schwester an. “Ich werde mich nicht in ein Schicksal fügen, das ich mit etwas Geschick beeinflussen kann.”
“Marianne, bitte, tu nichts Unüberlegtes. Du darfst dich nicht von deinen Gefühlen leiten lassen.”
Ärgerlich sprang ich auf. “Zumindest habe ich Gefühle! Dein Herz muss aus Stein sein, wenn es dich so wenig berührt, dass du den Mann, den du zu lieben vorgibst, niemals bekommen sollst. Und das nur des Geldes wegen. Ich hasse es, arm zu sein. Oh, wie ich es hasse!” Ich stürmte nach draußen, in die kühle Abendluft und lief in den Garten.
Natürlich hatte ich Elinor Unrecht getan. Ich wusste, dass sie nicht gefühllos war, aber ihre Selbstbeherrschung, selbst in den emotionalsten Situationen, brachte mich zur Weißglut.
Ich ging zu Bett, ohne sie noch einmal gesprochen zu haben und schlief mit der Gewissheit ein, dass Willoughby meinen Brief erhalten hatte. Ich hatte ihm geschrieben, dass ich ihn niemals wiedersehen wollte, da mein Herz einem anderen gehörte, und dass unsere Treffen ein Zeitvertreib gewesen waren, der zwar erbaulich, aber es nicht wert war, wiederholt zu werden. Wie ich Willoughby einschätzte, sollte das
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