Schampanninger
mich und machte mich auf den Weg. Ich stieg die Treppen hinauf bis in den zweiten Stock. Dort im Westflügel befand sich das Büro des Oberbürgermeisters. Forsch betätigte ich die Klinke, die Tür war jedoch verschlossen. Ich klopfte. Nichts war zu hören. Also klopfte ich kräftiger. Immerhin schaute von nebenan eine Frau heraus. Allerdings war sie bereits im Mantel.
– Was wollen Sie denn hier?
– Zum OB. Wegen der Veranstaltung morgen, auf der er spricht.
– Das können Sie für heute vergessen. Dafür hat der keine Zeit mehr, der will ja auch mal rechtzeitig nach Hause.
Das war es dann schon. Die Unterredung mit meinem Oberbürgermeister war geplatzt. Aber ich hatte ja noch Plan B.
– Könnten Sie ihm denn dieses Kuvert mit der Presseerklärung zukommen lassen?
– Worum geht es darin, erkundigte sie sich misstrauisch.
– Lux in tenebris. Der Verein für die bedürftigen Münchner. Berni Berghammer, wissen Sie?
Das zog. Sie nickte.
– Und was ist damit?
– Das soll er morgen in seine Rede einbauen. Wäre wirklich sehr wichtig.
Sie machte eine Notiz auf das Kuvert.
– Kriegt er das auch verlässlich?
– Das lassen Sie meine Sorge sein.
Demnach blieb mir nur noch der Kotau.
– Schöne Feiertage, Wiedersehen!
– Wiederschauen!
Der Pförtner unten blickte kurz von seiner Zeitung auf, als ich wieder ins Freie ging.
Mehr hatte ich heute nicht drauf, mehr als mein Bestes konnte ich nicht geben.
45
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war es so weit: Heiligabend war da. Allein schon aufwachen und feststellen dürfen, dass sich dieser tapfere Kerl wieder einmal durch denspätsommerlichen Lebkuchen- und Stollen-Vorverkauf, den Schokonikolaus- und Glühwein-Herbst, schließlich den langen Dessous- und Spielkonsolen-Advent hindurchgekämpft hatte und trotzdem ins Ziel gekommen war, hob sein Ansehen ungemein. Allerdings hatte er auch dieses Jahr nicht auf das gewohnte Osterwetter verzichten wollen. Die weiße Pracht schmolz im Nu, brauner Matsch und feuchte Füße für alle – so begann der Morgen. Ich unterzog den Kühlschrank einer Überprüfung. Julius hatte wacker eingekauft, bis Silvester würden wir jeden Belagerungszustand mühelos überstehen können. Was noch fehlte, war Frischware. Und natürlich noch ein Extrakasten der Weihnachtsedition, handgeschöpft in braune Klassikflaschen und mit selbst gemalten Etiketten veredelt. Nicht dass ich biermäßig schon auf Reserve lief, aber zwei Männer in harmonischer Stimmungslage, sich und dem Christkind herzlich zugetan, konnten oftmals Wunder vollbringen, und dafür wollte gesorgt sein.
Meine zweite Besorgung galt den Weißwürsten, die ich im Schlachthof holte. Die Brezen dazu bekam ich beim Spezialbäcker. Sein restliches Gebäck konnte man übers Haus werfen, aber Brezen buk er wie ein Künstler. Nun war nur noch der Senfvorrat aufzufüllen.
Und das Schönste war, dass alle Einkäufe fast ohne Scharmützel abliefen, auch dies ein Weihnachtswunder, denn die Stadt und vor allem die Lebensmittelgeschäfte wimmelten von Versorgungsoffizieren, die den strikten Auftrag hatten, für ihre zu Hause liegenden Truppen den Nachschub sicherzustellen. Außer einem unbedeutenden Rencontre mit einem dieser trampeligen, dicken Weiber, die dich, asthmatisch in deinen Nacken pfeifend, von hinten wahlweise mit ihrem Einkaufswagen oder ihrem ausladenden Brustpanzer touchieren undvorwärtszudrücken versuchen, davon also abgesehen, war die aktuelle Gefechtslage klar und von keiner weiteren Feindberührung getrübt. In das Logbuch des diesjährigen Heiligabends konnte ich daher für zehn Uhr morgens den beruhigenden Hinweis eintragen: keine besonderen Vorkommnisse.
Bis dahin war mein Programm für den Tag recht überschaubar gewesen: Für sechs Uhr nachmittags war mein Erscheinen im Weißbräu vorgemerkt. Anschließend war geselliges Beisammensein mit Julius geplant und später, sofern wir noch gut auf den Beinen waren, Besuch der Christmette in St. Andreas. Ich hatte meine immergrüne Tanne aus dem Keller geholt und säuberte sie mit dem Dampfgebläse, als plötzlich der alte Seebär aus dem Altenstift vor mir stand. Der gute Herr Albert.
– Frohe Weihnachten, sagte er.
Misstrauisch guckte ich ihn an.
– Bin heute nicht im Dienst. Weder handelswaremäßig noch geistlich.
Ein, wie ich fand, allzu geschmerztes Lächeln kräuselte seine Lippen.
– Schwester Adeodata bat mich, Ihnen diesen Umschlag zu überreichen.
Ich nahm ihn und riss das Kuvert
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