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Schande

Schande

Titel: Schande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. M. Coetzee
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schreit er und ohrfeigt ihn ein zweites Mal, so daß er taumelt. »Du dreckiges Schwein!«
      Eher erschrocken als verletzt, versucht der Junge weg-zulaufen, stolpert aber über die eigenen Füße. Sofort stürzt sich der Hund auf ihn. Er schlägt ihm die Zähne über dem Ellbogen in den Arm; er stemmt die Vorderbeine in den Boden und zerrt knurrend an ihm. Mit einem Schmerzensschrei versucht sich der Junge loszureißen. Er schlägt mit der Faust zu, aber nicht sehr kraftvoll, und der Hund reagiert nicht darauf.
      Das Wort tönt noch nach: Schwein! Noch nie hat er solche elementare Wut gespürt. Er würde dem Burschen gern geben, was er verdient: eine ordentliche Tracht Prügel. Sprüche, die er sein Leben lang gemieden hat, scheinen plötzlich gerecht und angebracht: Verpaß ihm einen Denkzettel! Zeig ihm, wo er hingehört! So fühlt sich das also an, denkt er. So ist es also, wenn man sich wie ein Wilder aufführt!
      Er verpaßt dem Jungen einen guten, ordentlichen Tritt, so daß er der Länge nach hinfällt. Pollux! Was für ein Name!
      Der Hund wechselt die Stellung, steigt auf den Jungen und zerrt wütend an seinem Arm, wobei er das Hemd zerreißt. Der Junge versucht, ihn wegzustoßen, aber der Hund weicht nicht. »Bäh bäh bäh bäh bäh!« schreit er vor Schmerz. »Ich bringe dich um!« schreit er.
      Dann erscheint Lucy auf der Bildfläche. »Katy!«
      befiehlt sie.
      Der Hund schaut sie von der Seite her an, gehorcht aber nicht.
      Lucy fällt auf die Knie, packt den Hund beim Halsband und redet leise und dringlich auf ihn ein. Zögernd läßt der Hund los.
      »Ist alles in Ordnung?« sagt sie.
      Der Junge stöhnt vor Schmerz. Der Rotz läuft ihm aus der Nase. »Ich bringe euch um!« sagt er schwer atmend. Er sieht so aus, als würde er gleich heulen.
      Lucy krempelt seinen Ärmel hoch. Die Spuren der Hundezähne sind zu sehen; während sie zusehen, bilden sich Bluttropfen auf der dunklen Haut.
      »Komm, wir wollen rein und das auswaschen«, sagt sie.
      Der Junge zieht Rotz und Tränen hoch und schüttelt den Kopf.
       
     
      Lucy hat nur einen Morgenrock an. Als sie aufsteht, lockert sich die Schärpe, und ihre Brüste werden entblößt.
      Als er die Brüste seiner Tochter das letzte Mal gesehen hat, waren es die kleinen Rosenknospen einer Sechsjährigen. Jetzt sind sie schwer, rund, beinahe milchig. Es wird still. Er starrt, der Junge starrt auch, ohne Scham. Wut schießt wieder in ihm hoch, trübt seine Sicht.
      Lucy wendet sich von ihnen beiden ab und bedeckt sich. Mit einer einzigen schnellen Bewegung kommt der Junge auf die Füße und bringt sich außer Reichweite.
      »Wir bringen euch alle um!« schreit er. Er dreht sich um; absichtlich das Kartoffelbeet zertrampelnd, kriecht er unter dem Drahtzaun durch und zieht sich in Richtung von Petrus’ Haus zurück. Sein Gang ist wieder frech, obwohl er noch seinen Arm versorgt.
      Lucy hat recht. Es stimmt etwas nicht mit ihm, in seinem Kopf stimmt etwas nicht. Ein gewalttätiges Kind im Körper eines jungen Mannes. Aber es steckt mehr dahinter, eine Seite der Sache, die er nicht versteht. Was will Lucy erreichen, wenn sie den Jungen schützt?
      Lucy spricht. »Das kann so nicht weitergehen, David.
      Ich komme mit Petrus und seinen aanhangers klar, ich komme mit dir klar, aber ich komme nicht mit euch allen zusammen klar.«
      »Er hat dich durchs Fenster angeglotzt. Hast du das mitbekommen?«
      »Er ist gestört. Ein gestörtes Kind.«
      »Ist das eine Entschuldigung? Eine Entschuldigung für das, was er dir angetan hat?«
      Lucys Lippen bewegen sich, doch er kann nicht hören, was sie sagt.
      »Ich traue ihm nicht«, fährt er fort. »Er ist unberechenbar. Er ist wie ein Schakal, der herumschnüffelt und auf Böses sinnt. Früher hatten wir eine Bezeichnung für Leute wie ihn. Zurückgeblieben. Geistig zurückgeblieben.
      Moralisch zurückgeblieben. Man sollte ihn in eine Anstalt stecken.«
      »Das ist doch dummes Gerede, David. Wenn du so denkst, dann behalt es lieber für dich. Und was du von ihm hältst, ist sowieso ohne Belang. Er ist hier, er wird sich nicht in Rauch auflösen, er ist eine Tatsache.« Sie sieht ihn fest an, in das Sonnenlicht blinzelnd. Katy läßt sich ihr zu Füßen fallen, keucht etwas, ist zufrieden mit sich, mit ihren Taten. »David, wir können so nicht weitermachen. Alles hatte sich beruhigt, alles war wieder friedlich, bis du wiedergekommen bist. Ich muß Frieden um mich

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