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Schande

Schande

Titel: Schande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. M. Coetzee
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aus Liebe in die Frau getrieben wurde, sondern aus Haß, chaotisch vermischt, der sie beflecken, markieren soll, wie mit Hundeurin?
      Ein Vater, der nicht so klug war, einen Sohn zu zeugen: soll alles so enden, soll so sein Geschlecht auslaufen, wie in der Erde versickerndes Wasser? Wer hätte das gedacht! Ein Tag wie jeder andere, klarer Himmel, eine milde Sonne, doch plötzlich hat sich alles verändert, von Grund auf verändert!
      Er lehnt draußen an der Küchenwand, seine Brust hebt und senkt sich, und schließlich weint er.
       
     
      Er richtet sich in Lucys früherem Zimmer ein, in das sie nicht wieder eingezogen ist. Für den Rest des Nachmittags meidet er sie, da er befürchtet, er könnte etwas Unüberlegtes äußern.
      Beim Abendessen gibt es eine neue Enthüllung. »Übrigens, der Junge ist wieder da«, sagt sie.
      »Der Junge?«
      »Ja, der Junge, mit dem du auf Petrus’ Fest den Streit angefangen hast. Er wohnt bei Petrus, er hilft ihm. Er heißt Pollux.«
      »Nicht Mncedisi? Nicht Nqabayakhe? Nichts Unaussprechliches, schlicht Pollux?«
      »P-O-L-L-U-X. Und David, könntest du uns diese schreckliche Ironie ersparen?«
      »Ich weiß nicht, was du meinst.«
      »Natürlich weißt du es. Jahrelang hast du sie gegen mich eingesetzt, als ich noch ein Kind war, um mich zu beschämen. Das kannst du doch nicht vergessen haben.
      Jedenfalls ist Pollux, wie sich nun herausstellt, ein Bruder von Petrus’ Frau. Ob das bedeutet, ein richtiger Bruder, weiß ich nicht. Aber Petrus hat ihm gegenüber Verpflichtungen, familiäre Verpflichtungen.«
      »Jetzt kommt nach und nach alles heraus. Und nun kehrt der junge Pollux an den Ort des Verbrechens zurück, und wir müssen so tun, als wäre nichts geschehen.«
      »Reg dich nicht auf, David, das bringt nichts. Laut Petrus hat Pollux die Schule abgebrochen und findet nun keine Arbeit. Ich möchte dich nur warnen, daß er hier auf dem Gelände ist. An deiner Stelle würde ich ihm aus dem Weg gehen. Ich vermute, daß mit ihm etwas nicht stimmt.
      Aber ich kann ihm keinen Platzverweis erteilen, das steht nicht in meiner Macht.«
      »Besonders, weil –« Er beendet den Satz nicht.
      »Besonders, weil was? Sprich es aus.«
      »Besonders, weil er der Vater des Kindes sein kann, das du erwartest. Lucy, deine Lage wird allmählich lächerlich, schlimmer als lächerlich, finster. Ich weiß nicht, wie dir das entgehen kann. Ich beschwöre dich, verlasse die Farm, ehe es zu spät ist. Das ist das einzig Vernünftige, was zu tun bleibt.«
      »Nenn das nicht ständig die Farm, David. Das ist keine Farm, es ist nur ein Stück Land, wo ich etwas anbaue – wir beide wissen das doch. Aber nein, ich gebe es nicht auf.«
      Er geht mit schwerem Herzen zu Bett. Nichts hat sich zwischen ihm und Lucy verändert, nichts ist geheilt. Sie fahren sich an, als wäre er überhaupt nicht weg gewesen.
       
     
      Es ist Morgen. Er klettert über den neu errichteten Zaun.
      Petrus’ Frau hängt hinter den alten Ställen Wäsche auf.
      »Guten Morgen«, sagt er. »Molo. Ich suche Petrus.«
      Sie blickt ihm nicht in die Augen, zeigt aber matt auf die Baustelle. Ihre Bewegungen sind langsam, schwerfällig. Ihre Zeit ist bald da – sogar er sieht das.
      Petrus setzt gerade Fenster ein. Eigentlich müßte jetzt ein langes Begrüßungspalaver folgen, aber er ist dazu nicht in der Stimmung. »Lucy sagt mir, daß der Junge wieder da ist«, sagt er. »Pollux. Der Junge, der sie angegriffen hat.«
      Petrus schabt sein Messer sauber, legt es hin. »Er ist mein Verwandter«, sagt er. »Muß ich ihn nun wegschicken, weil die Sache passiert ist?«
      »Sie haben mir erzählt, daß Sie ihn nicht kennen würden. Sie haben mich angelogen.«
      Petrus steckt die Pfeife zwischen seine fleckigen Zähne und saugt vehement. Dann nimmt er die Pfeife wieder aus dem Mund und lächelt breit. »Ich lüge«, sagt er. »Ich lüge Sie an.« Er saugt wieder an der Pfeife. »Warum muß ich Sie wohl anlügen?«
      »Fragen Sie das nicht mich, fragen Sie sich selbst, Petrus. Warum haben Sie gelogen?«
      Das Lächeln ist verschwunden. »Sie gehen fort, Sie kommen wieder – warum?« Er starrt ihn herausfordernd an. »Sie haben hier nichts zu tun. Sie kommen nach Ihrem Kind sehen. Ich sehe auch nach meinem Kind.«
      »Ihr Kind? Jetzt ist er Ihr Kind, dieser Pollux?«
      »Ja. Er ist ein Kind. Er gehört zu meiner Familie, zu meinen Leuten.«
      Das ist es also. Keine

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