Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schandtat

Titel: Schandtat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
Vom Netzwerk:
David, aber er war eben auch mein Dad, und da »He du« vermutlich nicht so gut war, beschloss ich, ihn möglichst gar nicht direkt anzusprechen. Er wirkte so weißbrotmäßig. Homogenisiert und total konformistisch, was so absolut gar nichts mit mir zu tun hatte, dass es fast komisch war. Die ganze Gegend langweilte mich jetzt schon, und höchstwahrscheinlich traf meine Gegenkultur auf sie wie eine Kettensäge auf Käse.
    Ich bin Sängerin. Musik ist mein Leben. Von den Ramones über die Sex Pistols bis hin zu den Doors und modernem Metal und Poppunk wie Blink-182 - ich stand total auf machtvolle Songs. Gitarrenriffs flossen durch meine Adern, und ich atmete nur, um zu singen, aber vor allem vermisste ich meine Band zu Hause, October Rose. Meine Kumpel. Die Leute, mit denen ich am Venice Beach abhing und im Lagerhaus neben Changs Delikatessenladen probte, ganz in der Nähe des Boulevards.
    Los Angeles ist laut und voll. Verkehr und Hupen und Flugzeuge und Hubschrauber und Millionen von Menschen und Milliarden von Maschinen und alles, was ich zum Leben brauchte. Wir wohnten in einem nobleren Teil von L. A., der nur eine halbe Stunde von Venice entfernt war - zufälligerweise genau der Stadtteil, in dem Jim Morrison
von den Doors bis kurz vor seinem Tod gelebt und seine brillante Musik geschrieben hatte. Venice war der Ort, an dem man abhängen und Teil von etwas richtig Großem sein konnte.
    Wenn ich meinen Blick hier über die Nachbarschaft schweifen ließ, sah ich rein gar nichts. Nur einen Haufen starrer, perfekter Häuser mit adretten Grünflächen und Lattenzäunen. Ein Ort, an den ich einfach nicht passte und auch niemals passen würde. Ich hielt eine halbe Minute lang den Atem an und hörte nicht mal einen einzigen Vogel zwitschern. In spätestens drei Tagen würde ich wahnsinnig werden.
    »Bist du neu hier?«
    Ich drehte den Kopf, und an dem hüfthohen Zaun, der die Gärten trennte, stand ein Typ, die knochigen Hände und dürren Finger auf den weißen Latten. Er war ungefähr in meinem Alter, trug ein Kenny-Chesney-T-Shirt mit abgeschnittenen Ärmeln, sodass man die Hälfte seines käsigen Brustkorbs durch die Armlöcher sehen konnte, und zwischen seinen schmalen Lippen klemmte ein Klumpen Kautabak. Durch die Ritzen im Zaun konnte ich seine Tarnshorts und die zerfetzten, halbhohen Michael-Jordan-Basketballschuhe erkennen.
    Ich musterte sein langes sommersprossiges Gesicht und die großen Ohren, die unter einer verkehrt herum sitzenden Baseballkappe hervorlugten, und fragte mich, ob er mich wohl erschießen und an Ort und Stelle verspeisen wollte oder ob er mich lieber zuerst noch in Essig einlegen würde. Er sah aus, als hätte einer von Gottes übermütigen kleinen Engeln seinen Heidenspaß in der Tonne mit den ausgesonderten
menschlichen Körperteilen gehabt, und meine Vermutung, dass die Teenager hier in etwa den perfekten Models aus einem Katalog von Abercrombie & Fitch entsprachen, ließ ich fallen. Dieser Bursche sah eher so aus, als wäre er einer Folge von Ein Duke kommt selten allein entsprungen , und ich rechnete schon fast damit, dass gleich Boss Hogg hinter einem Baum hervorspringen würde. »Nein, ich lebe schon seit Jahren hier. Ist dir das nie aufgefallen?«
    Er kratzte sich an seinem mit fünf Haaren bewachsenen, spitzen Kinn, schob es vor und spuckte dann einen wunderbar widerlichen Schwall braunen Schleims in den Garten meines Dads. »Machst du Witze?«
    »Ja.«
    »Man nennt mich Velveeta.«
    Das ließ mich aufhorchen. Er sprach so gedehnt wie ein Revolverheld. »Velveeta?«
    Er lächelte und nickte. »Ja. Ich mag Käse.« Er hielt inne. »Magst du Käse?«
    Ich hob meinen Blick zum makellos blauen Himmel empor, in dem noch nicht einmal ein klitzekleiner Fetzen Smog hing, fragte mich, warum das Ganze ausgerechnet mir passieren musste, und wünschte, ich könnte einfach für ein Weilchen aufhören zu existieren. Ich könnte zu Hause in meinem Bett aufwachen. Mom wäre bereits seit zwei Stunden fort, und ich hätte wieder alles, was ich früher gehabt hatte. Ich gehörte nicht hierher. Nicht in die erstarrte, heile Welt eines Norman-Rockwell-Gemäldes mit einem seltsam zusammengeschusterten Eindringling, der braunen Schleim über die ganze Leinwand spuckte. Ich sah ihn an. »Ob ich Käse mag? Soll das so was wie eine Anmache sein?«

    Mit zusammengekniffenen Augen sah er mich an und runzelte die Stirn, als sei ich die größte Idiotin auf der Welt. Dann spuckte er einen weiteren Schwall

Weitere Kostenlose Bücher