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Schandweib

Schandweib

Titel: Schandweib Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Weiss
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nachdenklich. Hin und wieder warf er einen Blick auf Ruth, die sichtlich bewegt die Zeilen ihres Vaters las. Schließlich legte sie den ersten Brief beiseite und öffnete das an sie persönlich gerichtete Schreiben.
    Liebe Ruth, meine über alles geliebte Tochter,
    Du bist das größte Geschenk, die größte Freude meines Lebens. Kein Kind könnte seinen Vater glücklicher machen, als Du mich stets gemacht hast. Wisse, dass ich bei all meinem Tun und Handeln stets Dein Glück und Wohl im Auge und im Herzen habe, so auch in diesem schweren Augenblick, da Du diese Zeilen liest.
    Du weißt, wie viel mir immer an der Tradition unserer Religion wie auch unserer Familie lag. Aber noch wichtiger sind mir Dein Leben und Dein Lebensglück.
    Ich halte Hinrich Wrangel für einen aufrichtigen und standhaftenMenschen, mit einem großen und gütigen Herzen und einem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit. Wenn Dein Herz so für ihn schlägt, wie ich es meine zu fühlen, dann wisse, dass ich Deine Wahl für gut und richtig halte, Dich von der Tradition unseres Glaubens entbinde und Dir von Herzen erlaube, seinen Glauben anzunehmen, um mit ihm zusammen in die Zukunft zu leben. Weiß ich doch, dass Du die Kraft haben wirst, zwei Traditionen in einem Glauben zu vereinen.
    Gehe Deinen Weg und wisse, dass ich immer bei Dir sein werde.
    Dein Dich liebender Vater
    Starr und still blieb Ruth am Schreibtisch sitzen, während ihr Tränen über die Wangen liefen.
    Wrangels Herz schnürte sich bei dem Anblick zusammen. »Ruth, es tut mir so furchtbar leid. Ich werde alles tun, um Euch zu helfen. Ich «
    »So lasst uns den Brief verbrennen, so wie mein Vater es Euch geraten hat.«
    Mit zitternden Gliedern erhob sie sich und schritt auf Wrangel zu. Der nahm sie behutsam beim Arm und ging mit ihr zum Kamin. Dort griff er eine Feuerzange, klemmte den Brief hinein und hielt ihn in die Flammen. Lodernd fing das Papier Feuer. Gelb-blau züngelten die Flammen an den Rändern hoch. Gebannt standen die beiden dicht beieinander und verfolgten den Feuerfraß, bis auch das letzte Zipfelchen zu Asche geworden war. Dann schmiegte sich Ruth schluchzend an Wrangel, der sie sanft in den Arm nahm und zur Tür hinausführte, wo Claussen und Jurek schon mit den schweren Mänteln auf sie warteten.
69
    N achdem die drei in der Großen Reichenstraße bei Claussens Oheim eingetroffen und Ruth in seine Obhut übergeben hatten, machte sich Wrangel auf zum Niedergericht, um Neuigkeiten zu erfahren.
    Am Gericht herrschte unterdrückte Nervosität. Wilken war immer noch nicht aufgetaucht, und Garsmann sorgte mit bedachter Manier dafür, dass die Arbeit wie gewohnt weiterging. Aber spätestens nach dem Mittagessen, als die Nachrichten von der Börse ans Niedergericht drangen, war das aufgeregte Tuscheln unter den Prokuratoren und Gerichtsdienern kaum noch zu überhören.
    Dr. Meyer kam kopfschüttelnd und leise hüstelnd auf Wrangel zu, um von ihm seine Unterschrift unter das Hinrichtungsprotokoll einzuholen. »Was für entsetzliche Nachrichten da aus der Börse dringen, nicht wahr, Prokurator? Das erinnert doch sehr an das trügerisch-riskante Spiel, auf das sich der erste Wilken, Thomas, seinerzeit einließ. So scheint auch unser Prätor sein Schicksal auf Gedeih und Verderb an ein einziges waghalsiges Geschäft gebunden zu haben. Doch für so etwas braucht es einen guten Grund und die Gnade des Herrn, damit es gelinge. So wollen wir hoffen, dass der Herr unserem Prätor gnädig sei.«
    »Ansonsten endet womöglich die Familienchronik der Wilkens, wie sie begann, nicht wahr, Dr. Meyer? Mit Täuschung und Gier.«
    Dr. Meyer schüttelte hüstelnd den Kopf, als wollte er Wrangels Worte nicht gehört haben, und hielt ihm die Feder zur Unterschrift hin.
    Kaum war der Tag bei Gericht beendet, eilte Wrangel zu den Claussens in die Große Reichenstraße. Ihm rauschte der Kopfvon all den Ereignissen, die über ihn hereingebrochen waren. Wie mochte es Ruth gehen? Sie hatte ihren Vater verloren und mit ihm den letzten noch lebenden Verwandten. Trug Wrangel daran nicht eine Mitschuld? War es richtig gewesen, den alten Abelson allein das Risiko tragen zu lassen? Wäre es nicht doch besser gewesen, auf die Justiz zu vertrauen und Wilken vor Gericht zu stellen? Dann würde Abelson vielleicht noch leben. Jetzt aber war dieser gute Mann tot und Wilken, dieser Verräter, am Leben.
    Das elegante Stadthaus der Claussens war hell erleuchtet, als Wrangel eintraf. Ein Diener nahm ihm den

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