Schandweib
gerade ihre Buden, um die Mittagssuppe einzunehmen. Zwei junge Mägde mühten sich mit einem schweren Korb voller Kohl. Ständig rollte einer der weißgrünen Köpfe von dem aufgetürmten Berg herab und drohte auf dem Pflaster zu zerschlagen, wenn ihn nicht eines der Mädchen rechtzeitig festhielt.
Unbeirrt von all dem Treiben fuhr Dr. Meyer mit seinen Ausführungen über die Familie Wilken fort. »Als Erster aus diesemGeschlecht ist Thomas Wilken nach Hamburg gekommen. Das war um die Mitte des 13. Jahrhunderts. Er wollte hier sein Glück als Kaufmann machen. Weil zu jener Zeit die schriftliche Behandlung öffentlicher Angelegenheiten stark zunahm, konnte sich dieser erste Wilken, dem der Umgang mit Feder und Papier leichtfiel und der sich auch in kaufmännischen Dingen gut auskannte, für den Rat der Stadt nützlich machen. Die eingesessene Kaufmannschaft sah zwar auf den Neuankömmling herab, doch schätzte man seine Dienste. Ihr wisst, wovon ich rede, nicht wahr?«
Dr. Meyer warf dem Prokurator einen verschwörerischen Blick zu. Wrangel wusste es. Seine Amtskollegen betrachteten ihn auch als Hanseaten zweiter Klasse, obwohl Lübeck sich wahrlich nicht vor Hamburg verstecken musste. In dieser Stadt gesellschaftliche Kontakte zu knüpfen war für neu Hinzugezogene nicht leicht.
»Wilkens Ehrgeiz und sein mit Schläue gepaarter Sinn für das Praktische ließen ihn nach einigen Jahren sein ganzes Geschick unter Beweis stellen, als der Erzbischof von Bremen anfing, bei Stade auf die Waren, die von und nach Hamburg verschifft wurden, Zölle zu erheben. In Hamburg war man sich einig, dass die Erhebung von Zöllen gegen althergebrachtes Recht verstieß. Die Bremer Bischöfe hatten nämlich schon früher versucht, ihre Rechte als Stadtherren über den Umweg des Elbzolles geltend zu machen. Im Jahre 1189 war eine Abordnung der Hamburger deshalb bei Kaiser Friedrich II., Barbarossa , vorstellig geworden und hatte in Neuburg an der Donau untertänigst um Zollfreiheit für den Hamburger Hafen gebeten. Weil sich der Kaiser damals mitten im Aufbruch zu einem Kreuzzug in das Heilige Land befand, blieb keine Zeit, sein Privileg in einer rechtskräftigen Urkunde niederzulegen. Welch ein Fehler, wenn man sich nicht die Zeit zur Ordnung nimmt!«
Der Aktuar warf dem gespannt zuhörenden Wrangel einen kurzen Blick zu. Dieser wartete insgeheim jedoch darauf, dass der alte Mann endlich zur Sache käme.
»Wir müssen nach links abbiegen.« Zu beiden Seiten der schmalen Straße reihten sich hohe Kontorhäuser aneinander. Einige von ihnen hatten einen kleinen Kran über der großen Eingangstür montiert, um die Waren von den Lastkarren direkt hinauf in die Speicher befördern zu können. Dr. Meyer fuhr mit seiner Erzählung fort, den Blick seiner schon leicht getrübten Augen eher nach innen als auf das Pflaster vor ihm gerichtet.
»Zwar respektierte der damalige Erzbischof von Bremen den Spruch des Kaisers, doch war dieser nach drei Generationen in Vergessenheit geraten, und im Jahre des Herrn 1264 begann der damalige Bremer Bischof erneut die Hamburger zu schröpfen. Der Rat der Stadt war in heller Aufregung, wodurch Thomas Wilken für eine Idee Gehör fand, die früher als unredlich abgelehnt worden wäre. Wilken schlug vor, eine Urkunde, die Barbarossa versäumt hatte auszustellen, nachträglich anzufertigen. Er verwahrte sich dagegen, kaiserliche Urkunden fälschen zu wollen, sondern sagte, dass damit nur etwas, was hergebrachtem Recht entsprach, seine schriftliche Niederlegung fand. Keineswegs sei dies eine Fälschung, sondern die Beibringung einer von den Juristen verlangten Bestätigung dessen, was in Hamburg jedermann wisse. Ihr könnt Euch denken, was ich als Aktuar von so etwas halte«, hüstelte Dr. Meyer verschmitzt.
Wrangel nickte zustimmend. Eine Fälschung blieb eine Fälschung, auch wenn man versuchte sie schönzureden. Zwischen zwei Kontorhäusern wehte Wrangel und seinem Begleiter ein nasskalter Wind entgegen. Sie passierten einen schmalen Durchgang zum Fleet, durch den Lasten transportiert werden konnten,die zu groß waren, um sie von der Wasserseite in die Kontore zu schaffen.
»Jedenfalls heuerte Wilken im Auftrag des Rates zwei Kalligraphen an, welche die Urkunde verfertigen sollten. Auf vielen Umwegen gelangte er auch an das Kaiserliche Siegel. In bestem Latein verfasst und mit zierlichen Minuskeln niedergeschrieben, sorgten die Urkunde und die Kosten von über zehntausend Mark bei den Ratsmitgliedern
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