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Schandweib

Schandweib

Titel: Schandweib Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Weiss
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»Zumindest lullte mich das joviale Geplänkel des Prätors und die ganze Atmosphäre ausreichend ein, dass ich meinen Verstand nicht rechtzeitig einsetzen konnte.«
    »Ihr hattet keine Chance, Wrangel. Als Elisabeth Euch bat, öffnete sie die Schleusen Eurer angestauten Selbstvorwürfe. Vielleicht wusste sie es nicht. Aber sie hat Euch damit auch einen Gefallen getan. Nun könnt Ihr mit Euch selbst ins Reine kommen und eine gütlichere Haltung zu Eurer Familie finden, anstatt als oberstes Ziel im Leben eine gegen sie gerichtete Abneigung zum Maßstab Eurer Entscheidungen zu machen.«
    Wrangel zog die Stirn kraus. »Haltet Ihr mich wirklich für derart verschroben?«
    »Hm. Erst letztens erzähltet Ihr mir, Euer Schicksal sei mit dem Eurer Mandantin verbunden. Da kann man sich schon Sorgen machen, ob Ihr Euch nicht bereits zu weit in eine Welt von Phantasmen verstiegen habt, anstatt den Realitäten des Lebens ins Auge zu blicken.«
    Wrangel musste unwillkürlich grinsen. Ja, den Realitäten war er in der letzten Woche reichlich nah gekommen. Besonders auch den griffig-weichen. Aber was wusste davon der Vikar? An Wrangel sollte es zumindest nicht sein, ihn davon wissen zu lassen. »Bis das Kind geboren wird und ich mit ihm ans Taufbecken schreiten muss, habe ich noch etwas Zeit. Bis dahin werde ich hoffentlich wissen, wie ich mit meiner Familie weiterhin zu verkehren gedenke. Doch verzeiht, lieber Freund, wenn ich unser anregendes Gespräch beenden muss. Die Schmerzen nehmen zu. Ich brauche Ruhe.«
    »So hat der Prätor vielleicht sogar zweimal besser an Euch gehandelt, als Ihr im ersten Augenblick meintet. Ich werde Euch eine Lohnkutsche rufen, sodass Ihr warm und sicher nach Hause kommt.«
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    R uth, ich habe traurige Neuigkeiten für dich.« Moses Abelson setzte sich umständlich in einen bequemen Sessel unweit des Kamins und wartete auf seine Tochter, die sich noch im Speisezimmer zu schaffen machte.
    Als sie zu ihm in den Salon kam, deutete er mit seinem Gehstock auf die Karaffe mit Portwein. »Sei so gut, mein Kind, und schenke uns beiden ein Gläschen davon ein.«
    Ruth griff sogleich nach der Karaffe, betrachtete dabei aber aus dem Augenwinkel ihren Vater. Er sah müde und erschöpft aus. Das feuchtkalte Wetter schien ihm zuzusetzen. Sie reichte ihm das gefüllte Glas und nahm auf dem zweiten Sessel Platz.
    »Auf dem Heimweg von der Börse traf ich den jungen Vikar Claussen. Er berichtete mir, dass der ehrenwerte Prokurator Wrangel kurz nach Eurer glücklichen Rückkehr aus Wandsbek überfallen und übel zugerichtet wurde.«
    Erschrocken schlug Ruth die Hände vor den Mund und riss die Augen auf. Ihr Atem stockte, und sie brauchte einen Augenblick, bis sie all die Ängste und Fragen, die ihr durch den Kopf schossen, in Worte fassen konnte. »Was ist ihm denn passiert, Vater? Berichtet mir bitte alles so genau wie möglich.«
    »Meine Neuigkeiten stammen bereits aus zweiter Hand. Aber der Vikar berichtete, er hätte heute Nachmittag den Prokurator wie gewöhnlich im Kaffeehaus am Kattrepel erwartet, wo dieser hinkend, mit zerschundenem Gesicht und einem Verband um den Kopf erschienen sei. Man hatte ihn am Sonntagabend auf dem Neuen Markt überfallen, wohin ihn noch zu fortgeschrittener Stunde Geschäfte geführt hatten. Ein Frohnknecht fand den armen Prokurator schließlich niedergeschlagen und seiner Kleidung beraubt in der Gosse.«
    Ruth schüttelte entsetzt den Kopf. Ihr Herz krampfte sich bei dem Gedanken an den verletzten Wrangel zusammen. Sie sah sein Gesicht vor sich, wie er ihr in der Kutsche von all den Neuigkeiten seines Falls berichtete. Seine blauen Augen hatten so hell gestrahlt, seine Wangen waren vor Erregung leicht gerötet gewesen. Sie dachte daran, wie sie seine Hand berührt, seine warme Haut gespürt hatte. Erneut zog sich ihr Herz zusammen, zugleich aber spürte sie eine noch nie zuvor erlebte Wärme in ihrem Inneren, eine Zuneigung zu diesem jungen Mann, wie sie noch nie für jemanden empfunden hatte. Beschämt über diese plötzliche Erkenntnis, schlug Ruth die Augen nieder. Doch dann schoss ihr durch den Kopf: Man hatte Hinrich beraubt. Ob man ihn auch der Briefe beraubt hatte? Welch ein Glück, dass die beiden sonderbaren Briefe bei ihr gewesen waren. Bisher hatte sie noch keine Gelegenheit gefunden, ihrem Vater von den Schreiben und ihren Überlegungen dazu zu erzählen.
    »Ach, Vater, ich bin sehr in Sorge, dass dieser Überfall auf den Prokurator nicht einfach nur ein unglücklicher

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