Schandweib
Apothekerkreisen sprach man viel von diesem sonderbaren Mord, und wir alle achteten darauf, ob vermehrt Caput mortuum – oder Totenkopf – angeboten wird, wie wir das flüchtige Salz nennen, dassich aus der Hirnschale gewinnen lässt. Aber ich persönlich habe davon nichts bemerkt.«
Der Apotheker holte einen kleinen Mörser hervor und schüttete verschiedene Kräuter und Wurzelstückchen hinein. Dann zerstampfte er die Mischung zu einem feinen Pulver.
»So glaubt Ihr nicht, dass jener Kopf zu Medizin verarbeitet wurde?«
»Das will ich so nicht sagen. Vielleicht hat man die daraus gewonnenen Arzneien außerhalb Hamburgs verkauft. Im Dänischen zum Beispiel. Früher kamen die Dänen häufiger nach Hamburg, um sich bei uns mit unserer vorzüglichen Arznei einzudecken. Schließlich verfügen die Hamburger Apotheker über eine Vielzahl an Arzneien, die sich nur aus Stoffen herstellen lassen, welche aus Übersee importiert werden. Heute ist das bei all der Feindschaft, die zwischen uns und dem Dänenkönig herrscht, kaum noch möglich.«
Wrangel saß grübelnd auf dem kleinen Schemel und rieb seine Schläfen, die immer noch pochten.
Kirchhoff schüttete das inzwischen zerstoßene Pulver in einen kleinen Tonbecher und ging hinüber zu einem der kleinen Öfen, auf denen ein Wasserkessel stand. Er füllte den Becher mit heißem Wasser auf und reichte ihn Wrangel. »Trinkt das, dann wird es Euch gleich bessergehen.«
Vorsichtig führte Wrangel den Becher an seine verschorften Lippen und trank. Die Mischung schmeckte würzig-bitter und löste umgehend eine wohlige Wärme und Entspannung in seinem Körper aus. »Das tut gut. Danke.«
Dann wandte er sich wieder der Frage der Kopfverarbeitung zu. »Sind destilliertes Öl und flüchtiges Salz aus der Hirnschale das Einzige, was sich aus einem Kopf an Medizin gewinnen lässt?«
»Keineswegs. In China versteht man sich darauf, Köpfe aufbesondere Weise zu mumifizieren und sie dann zu einem Pulver zu verarbeiten, dem man nachsagt, dass es ewiges Leben schenken soll. Allerdings werden diese Mumienköpfe, soweit ich davon gehört habe, von Neugeborenen gewonnen. Mit eigenen Augen gesehen habe ich diese Wundermedizin allerdings noch nie.«
Wrangel fühlte eine leichte Übelkeit aufsteigen und war sich unsicher, ob sie an dem Getränk oder am Gesprächsthema lag. Er setzte sich so aufrecht wie möglich hin und stützte seine verletzte Seite mit der Hand ab.
»Aber ich will Euch nicht mit Details aus der pharmazeutischen Wissenschaft belasten, Prokurator. Was mir bei Eurem Fall absurd erscheint, ist, dass jemand sich die Mühe macht, den Kopf einer gewaltsam Getöteten verschwinden zu lassen, den übrigen Körper aber einfach fortwirft.«
»Wieso?«
»Nicht nur aus dem menschlichen Kopf gewinnt man Arzneien, Prokurator Wrangel, aus dem Blut lassen sich ähnlich wirksame Öle und flüchtige Salze destillieren wie aus der Hirnschale. Aus eingelegtem Menschenfleisch gewinnt man eine hochwirksame Tinktur, die vor allen giftigen und pestilenzischen Krankheiten schützt. Auch innere Schäden und Geschwüre bekämpft sie wunderbar. Aus Menschenhaut lassen sich hervorragende Gürtel arbeiten, die den Frauen die Niederkunft erleichtern, und kein Mittel wirkt besser gegen rheumatische Beschwerden als ein Balsam aus Menschenfett. Warum also sollte jemand, der sich auf die Bereitung von Arzneien versteht, nur den Kopf nehmen, den Rest des Körpers aber liegen lassen?«
Wrangels Augen blitzten auf. »Ihr habt vollkommen recht, Apotheker Kirchhoff! Das ergibt wahrlich keinen Sinn. Ihr ahnt gar nicht, wie sehr Ihr mir gerade weitergeholfen habt.«
Der Apotheker warf Wrangel ein zufriedenes Lächeln zu. »Esist mir eine Ehre, Euch und dem Niedergericht bei der mühseligen Arbeit der Rechtsfindung mit meinen bescheidenen Kenntnissen helfen zu können. Wartet einen Moment, dann habe ich die Mixtur für Euren Kräuterbrei zusammengestellt.«
Wrangel fühlte, wie neue Kräfte in seinem Körper aufstiegen. Die Wahrheit war eben nicht einfach zu verdrängen. Sie fand immer ihren Weg an die Öffentlichkeit, und sei es durch den fachkundigen Mund dieses braven Apothekers. Mit diesen Ausführungen würde er das Mordmotiv Jähners widerlegen und den Unsinn all der Beschuldigungen noch einmal untermauern können.
Eine kleine Weile später kam der Apotheker mit einer Schale voll verschiedener getrockneter Kräuter zurück. »Ich werde Euch diese Kräuter noch zermahlen, dann rührt Ihr so viel,
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