Schandweib
gehörte nun einmal traditionell dazu.
Wrangel zwang sich also zur Ruhe, bevor er darum bat, Bunk zu sprechen. Asthusen führte ihn hinüber in die Herrenstube. Fünf Minuten später brachte der Meisterknecht die gefesselte Bunk herein und schob sie auf einen Schemel. Dann verließ er wortlos den Raum und bezog vor der Tür Wache.
Wrangel traute seinen Augen nicht. Bunks Kleidung war blutverschmiert, ihre Augen gerötet und fiebrig glänzend. Um die Daumen klebten schmutzige blutverkrustete Stofflappen. Auch ihr linker Unterschenkel war mit einem verdreckten Lappen verbunden. Daumenstock und spanischer Stiefel, dachte Wrangel, unverkennbar.
»Es tut mir sehr leid, dass sie dir das angetan haben, Bunk. Hätte ich davon gewusst, hätte ich versucht, es zu verhindern. Territion ist eine Sache, aber angewandte Folter eine andere. Was ist schon ein Geständnis wert, das unter brutalen Schmerzen erpresst wurde? Alles Lüge! Du kannst es widerrufen, Bunk, wenn du willst. Ich werde dir helfen und beistehen.«
Bunk warf ihm einen müden Blick zu. »Beistehen? Lasst es gut sein, Prokurator. Ich habe nichts zu widerrufen. Ich habe freiwillig ausgesagt.«
»Was redest du da? Sieh dich doch an! Was war da freiwillig?«
Bunk spuckte wütend aus. »Ich habe getan, was ich tun wollte. Niemand hat mich dazu gezwungen.«
»Wenn du nicht widerrufst, wird man dich zum Tod verurteilen. Ich kann verhindern, dass sie dich nochmals foltern. Ich werde auf die Last der Indizien verweisen. Deine Unschuld ist nicht zu leugnen.«
»Ich bin nicht unschuldig, Prokurator. Genauso wenig wie die beiden anderen. Jeder von uns wird seine gerechte Strafe erhalten, so wie der Herrgott sie vorbestimmt hat.«
Wrangel schüttelte ungläubig den Kopf. Aber er konnte hier nicht viel tun. Bunk war offensichtlich verwirrt durch ihr Leid, die Schmerzen und das Fieber. Asthusen musste sie besser pflegen, dann würde sie schon ihren Lebenswillen wiederfinden. Er jedoch musste zusehen, dass er seine Indizien zusammensammelte. Er brauchte endlich die Unterlagen von der Obduktion der Frau ohne Kopf. Der Aktuar hatte sie ihm nicht geschickt, sie mussten also noch im Niedergericht sein.
Eilig verließ Wrangel die Frohnerei, nachdem er Jürgen angewiesen hatte, der Gefangenen erst noch einen Teller kräftige Suppe und ein Bier zu bringen, bevor er sie zurück in ihr Verlies brachte.
52
D er Aktuar Dr. Meyer war gerade im Begriff, das Niedergericht zum Mittagessen zu verlassen, als Wrangel ihn vor der Tür ansprach und sich nach den Unterlagen des Physikus erkundigte.
»Prokurator Wrangel, wie ich sehe, geht es Euch schon wieder bedeutend besser. Dabei rechnet man frühestens morgen mit Euch. Nun, die Unterlagen, von denen Ihr sprecht, kenne ich leider nicht. Ich habe sie nie bei den Akten des Gerichtes gesehen, und wie Ihr Euch denken könnt, entgeht mir kaum irgendeine Notiz, die das Niedergericht betrifft.«
Der Aktuar hüstelte verhalten, und Wrangel konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass seinem Mund eine kleine Staubwolke entwich.
»Aber wie kann das sein, Dr. Meyer? Dr. Biester hat mir doch selbst gesagt, dass er die Unterlagen einem Boten des Gerichtes übergeben habe.«
Der Aktuar winkte ab und bedeutete Wrangel, ihm ein paar Schritte zu folgen. »Es ist Mittagszeit, Prokurator. Ihr solltet erst einmal eine kleine Stärkung zu Euch nehmen, bevor Ihr weiter versucht, Euch gegen den Mühlstein des Gerichtes zu stemmen.« Er warf Wrangel einen verstohlenen Blick zu und schlug den Weg Richtung Deichstraße ein, in der mehrere Gasthäuser zum Mittagessen einluden.
Wrangel folgte ihm. »Was wollt Ihr damit sagen, Dr. Meyer?«
»Ich meine damit, dass Ihr den Dingen ihren Lauf lassen sollt, wie er durch die Umstände und Notwendigkeiten bestimmt ist. Darum solltet Ihr jetzt essen.«
Wrangel ärgerte sich über die verklausulierte Antwort des Aktuars. »Ich habe keinen Hunger. Ich muss eine unschuldigeFrau verteidigen und brauche dafür diese Unterlagen als Beweis.«
»Für die Beweisführung ist der Prätor verantwortlich, Prokurator, vergesst das nicht und legt Euch nicht unnütz mit ihm an. Auch versucht weder, die Zuständigkeiten beim Niedergericht neu zu ordnen, noch den Akt der Rechtsfindung umzuwälzen. Gemäß der Carolina ist das Ziel der gerichtlichen Befragung, den Missetäter seiner Tat zu überführen und ein freies Geständnis zu erhalten und nicht etwa ihn zu entlasten. Vor dem Richter hat neben zwei glaubwürdigen Zeugen nur
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