Schandweib
gewesen, auf die Justiz zu vertrauen und Wilken vor Gericht zu stellen? Dann würde Abelson vielleicht noch leben. Jetzt aber war dieser gute Mann tot und Wilken, dieser Verräter, am Leben.
Das elegante Stadthaus der Claussens war hell erleuchtet, als Wrangel eintraf. Ein Diener nahm ihm den schweren Mantel ab und führte ihn dann sogleich in den Salon. Die Familie Claussen saß gemeinsam mit Ruth vor dem großen Kamin und hörte gebannt Syndikus Lorenz zu, der erst kurz vor Wrangel eingetroffen war und Neuigkeiten aus dem Rat zu berichten hatte. Leise setzte sich Wrangel in die Runde und lauschte ebenfalls.
Zum Ende der Ratssitzung waren noch zwei entsetzliche Nachrichten eingetroffen, wusste der Syndikus zu berichten. Aus Amsterdam, dem Heimathafen der Voetboog, war die offizielle Bestätigung gekommen, dass die Fleute bereits vor Wochen vor der brasilianischen Küste gesunken war, womit auf Anhieb sämtliche Wechsel platzten, die der Senator Hieronymus Wilken ausgestellt hatte. Damit war die Familie Wilken finanziell ruiniert.
Der Prätor selbst hatte wohl bereits am Sonntagabend Hamburg überstürzt verlassen und war von seinem Landhaus aus Richtung Kopenhagen aufgebrochen. Keiner konnte sich so recht erklären, was Wilken bei dem verfeindeten Nachbarn wollte. Aber dann habe seine Kutsche bei der Überquerung der Travefurt einen furchtbaren Unfall auf dem glatten Eis gehabt, bei dem der Senator auf das Eis hinausgeschleudert und voneiner entgegenkommenden Kutsche so unglücklich erfasst wurde, dass sie ihm mit dem Wagenrad den Kopf abtrennte.
Ruth und Wrangel tauschten verstohlene Blicke aus, und für einen Augenblick blitzten Ruths Augen hell auf. Dabei murmelte sie kaum hörbar: »Auge um Auge, Zahn um Zahn
«
Wrangel aber las es von ihren Lippen ab und begann an die Macht der alten Weisheit zu glauben, der sein Freund Abelson vertraut hatte.
Fakten und Hintergründe zum Schandweib
Anna Ilsabe Bunk – der tatsächliche Fall
Der Fall der Anna Ilsabe Bunk wurde tatsächlich im Jahr 1701 am Hamburger Niedergericht verhandelt. Die originalen Gerichtsakten befinden sich im Hamburger Staatsarchiv. Gemeinsam mit Johann Friedrich Jähner und Marie Cäcilie Jürgens wurde sie wegen Beihilfe zum Mord an Maria Rieken nach unter der Folter gemachten Geständnissen rechtskräftig verurteilt und im Januar 1702 auf dem Richtplatz von St. Georg gerädert und anschließend verbrannt.
In den Prozessakten fanden sich auch die anderen Anklagepunkte, wie Hexerei und Sodomie, worunter man in der Frühen Neuzeit jeglichen Geschlechtsverkehr oder sexuellen Akt verstand, der nicht direkt der Zeugung hätte dienen können.
Auch das schriftliche Gnadengesuch von Maria Jähner war unter den Akten sowie die Briefe, die Bunk an Cäcilie Jürgens schreiben ließ.
Aus den diversen Verhörprotokollen ließen sich Einzelheiten aus Bunks Leben entnehmen. So war ihr Vater bei der Kavallerie in Verden an der Aller stationiert. Auch verschiedene Arbeiten, die sie ausgeführt hatte, wurden in den Protokollen erwähnt, ebenso ihre sexuellen Neigungen und ihr Aufenthalt in Amsterdam, wo sie von dortigen Huren einen ledernen Penis erworben haben soll.
Solche Intimprothesen wurden zu jener Zeit vorzugsweise aus weich gegerbtem Ziegenleder genäht und in einen ledernen Gürtel eingefasst, der wie eine knappe Hose zwischen den Schenkeln getragen wurde. Neben einer Polsterung aus Schafwolle konnte so ein künstlicher Penis auch über einen kleinen, aus einer Schweinsblase gefertigten Ballon verfügen, der sich über einen winzigen, in der Gürtelhalterung eingenähten Blasebalg aufpumpen ließ.
Die Gegebenheiten und Örtlichkeiten der Amsterdamer Prostitution im späten 17. Jahrhundert entsprechen historischen Fakten. Wegen des strengen Verbots käuflicher Liebe nutzten die Freier als Orte der Anbahnung die dafür bekannten Amsterdamer Spielhäuser, und Kupplerinnen, die oft auch sogenannte »stille Häuser« unterhielten, wickelten die Geschäfte diskret ab.
Kleider machen Leute – Frauen in Männerkleidern
Der Umstand, dass Bunk als Mann lebte, hing aber nur teilweise mit ihren sexuellen Neigungen zusammen. Tatsächlich war es im 17. und 18. Jahrhundert – und auch schon davor – ein verbreitetes Phänomen, dass Frauen Männerkleider anlegten und versuchten, ihr Leben in der Männerwelt zu bestreiten. Die Männerrolle bot gerade jungen Frauen aus sozial schwächeren Schichten sowie Waisen oder Zugewanderten Schutz und Vorteile auf dem
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