Schandweib
Ansprüche auf das spanische Erbe an.
»Na, Wrangel, habt Ihr Euch aus den Niederungen des Gerichtes jetzt in die Höhen der großen Politik aufgeschwungen?« Claussen schlug ihm fröhlich auf die Schulter.
»Es sieht so aus, als ob es Krieg geben wird«, brummte Wrangel zerstreut. »Der Kaiser hat sich im Streit um das spanische Erbe engagiert. Die deutschen Fürsten müssen ihn jetzt gegen Frankreich unterstützen.«
»Was sorgt Ihr Euch? Ihr werdet doch kaum ins Feld ziehen. Hamburg hat bis jetzt in allen Kriegen gute Geschäfte gemacht, auch wenn in der Vergangenheit dann und wann mal ein Schiff aufgebracht wurde. Alle brauchen Geld für die Truppen. Die Soldaten wollen essen und gekleidet werden, man benötigt Stahl und Schießpulver. Mars und Merkur sind zwei Brüder.«
»Es scheint ganz in der Natur dieser Stadt zu liegen, dass die Krone der oberflächlichen Wohlanständigkeit in einem Boden aus menschlicher Niedertracht und Bosheit wurzelt. Aber wieerst der Mist die schönsten Blumen richtig zum Gedeihen bringt, so sind wohl auch der Krieg und das Leid der einen das Glück der anderen.« Missmutig faltete Wrangel die Zeitung zusammen.
»Mein lieber Wrangel, Ihr habt recht, was den Krieg und das Geschäft angeht, aber bedenkt doch, dass es das Gute nur gibt, wenn es sich vom Schlechten unterscheiden kann. Beide bedingen einander. Weil wir krank werden und sterben müssen, weil wir nicht sicher sein können, ob wir der Gnade des Herrn gewiss sind, und weil uns die Sünde allerorten versucht, will ich Pastor werden, um den Menschen einen Weg zu weisen und ihnen den Glauben an die Erlösung zu predigen. Wollt Ihr mir vorwerfen, dass ich das Böse als Nährboden brauche? Nehmt Euch doch selbst. Als Jurist lebt Ihr vom Zank und Hader der Menschen. Weil sie sich belügen, betrügen und einander den Schädel einschlagen, brauchen sie jemanden, der Recht spricht und sich ihrer Anliegen annimmt. Jemanden, der dafür sorgt, dass ihnen Recht widerfährt.«
Claussens Worte machten Wrangel nachdenklich. Unter diesem Aspekt hatte er den unglückseligen Fall, den der Prätor ihm aufgebürdet hatte, noch nicht betrachtet.
»Seht die Dinge nicht nur schwarz oder weiß, sondern versucht sie mit Grau etwas aufzuhellen, sonst verliert Ihr noch den Mut und entwertet das eigene Tun.«
»Mir düngt, mein eigenes Tun entwerte ich schon mit ganz anderen Dingen, Claussen.« Wrangel schüttelte den Kopf und rieb sich erschöpft die Schläfen, als könnte er selbst kaum glauben, wie es ihm ergangen war. »Gestern verließ ich das Gericht vor der Zeit, weil ich einer armen Alten, die bei Asthusen in der Frohnerei einsitzt, den Tag ihrer Urteilsverkündung mitteilen wollte. Auch hatte ich noch ein paar Kleinigkeiten für sie. Meine Abwesenheit muss dem Prätor gerade recht gekommen sein, ummir den unglückseligsten Fall aufzudrücken, den ich mir denken kann. Eine Frau wurde gefangen genommen, die sich als Mann gekleidet und ausgegeben hat, sie sitzt jetzt in der Frohnerei. Und mir obliegt als mein erster eigener Fall die Pflichtverteidigung dieses Mannweibs.«
»Euer erster eigener Fall. Meinen Glückwunsch, Wrangel! Und die Frau wurde gefangen, weil sie sich als Mann gekleidet hatte?«
»Nein, nicht deswegen. Sie soll sich auch mit einer Frau verheiratet und diese im Streit mit einem Messer verletzt haben. Da sich der Fall für die Interessen des Prätors nicht lohnt, will er ihn am liebsten so schnell wie möglich vom Tisch haben.« Wrangel leerte den letzten, kalt gewordenen Rest Kaffee in seiner Tasse in einem Zug.
Claussen machte ein nachdenkliches Gesicht. »Wisst Ihr, die Verkleidung einer Frau als Mann ist gar nicht so selten. Ich als jemand, dem das Seelenheil seiner Gemeinde am Herzen liegt, versuche mir oft ein Bild davon zu machen, was die Menschen beschäftigt, damit lässt sich so manche Predigt würzen. So las ich in Happels Relationes curiosae , seinen geschätzten Großen Denkwürdigkeiten , eine lange Geschichte über die Heldinnen und Amazonen im Kampf der Niederlande gegen die papistischen Spanier vor zweihundert Jahren. Im vorletzten Krieg zwischen Dänemark und Schweden sollen in einer Schlacht fünfhundert Weiber auf der Seite der Dänen gefallen sein, die man, bevor man die Leichen fledderte und vergrub, für Soldaten gehalten hatte. Sicher ist diese hohe Zahl übertrieben, aber einige müssen es wohl gewesen sein. Woanders las ich die Geschichte einer Spanierin, die sich von ihrem Mann getrennt haben
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