Schandweib
soll, um dann als Mann gekleidet eine andere Frau geheiratet zu haben.«
Wrangel zuckte mit den Schultern. »Das sind sicher spannende Geschichten, die das Interesse des Publikums bedienen,aber ich glaube eher, dass sie von findigen Schreibern und Verlegern erfunden wurden, ähnlich wie Erzählungen von Blutregen, Drachen und Meeresungeheuern. Habt Ihr mir nicht kürzlich erklärt, wie die Katholiken immer neue Geschichten von weinenden Marienstatuen und blutenden Kruzifixen erdichten, um den Heerscharen von Pilgern den letzten Heller aus dem Beutel zu locken? Als Jurist muss man sich immer fragen: Wer hat den Nutzen davon?«
»Nein, Ihr habt mich da missverstanden. Sicher fördern die Geschichten der Papisten den Aberglauben, genau wie ihre Auffassung von der Präsenz Christi beim Abendmahl. Und wenn es auch das Wunder einer blutenden Heiligenstatue nicht gibt, so besitzen doch der Vatikan, die Jesuiten und der ganze Reigen ihrer Pfaffen genug Schläue und Kunstfertigkeit, um es durch unter den Altären verborgene Apparate und Leitungen so aussehen zu lassen, als wenn ein Stück Holz, das irgendeinen ihrer Heiligen darstellt, blutige Tränen weint. Dennoch verbirgt sich hinter dem unwahren Schein eine reale Verstellung, eine Maskerade. Wenn sich auch eine Frau nicht in einen Mann verwandeln kann, kann sie doch die ganze Welt über ihr Geschlecht täuschen.« Claussen betrachtete geduldig seinen grübelnden Freund. Wrangel schüttelte nach einer Weile den Kopf. »Wer wäre so verrückt, Claussen, sich ohne triftigen Grund dem Aberglauben des Volkes auszuliefern? Was meint Ihr, was der Henkersknecht als Erstes über dieses Mannweib sagte? Als Hexe habe man sie beschrien. Ihr wisst selbst, wie häufig es noch vorkommt, dass heilkundige Frauen Opfer von Verleumdung werden, die auf diesem Aberglauben beruht. Zwar sind zum Glück die Zeiten vorbei, in denen die Scheiterhaufen mehr Holz fraßen als die Badehäuser. Aber niemand kann darauf aus sein, seinen Ruf und seine Ehre durch abergläubisches Geschwätz zu gefährden. In Euren Geschichten haben die Frauen, die sich als Männer ausgaben, heldenhafte Motive: der Wunsch, einem geliebten Mann auch dort nahe zu sein, wo Frauen nicht hindürfen. Oder aber eine Situation, in der die Verkleidung als Mann es erlaubt, aus einer Notlage zu entkommen. Aber sonst läuft doch keine Frau über Jahre in Männerkleidern herum.«
Der Vikar wiegte nachdenklich den Kopf und fuhr sich mit der Linken durch das lichte rote Haar. »Ich habe auch gehört, dass manche Hermaphroditen, Personen zweierlei Geschlechts, sich offenbar die Kleider des Geschlechts anzuziehen pflegen, dem sie sich zugehörig fühlen, ganz gleich, welcher Gefahr sie sich damit beim abergläubischen Volk aussetzen.«
»Ja, das ist mir ebenfalls zu Ohren gekommen. Es gibt ein paar juristische Lehrstücke, die davon handeln, dass das Geschlecht dieser Menschen später von einem Gericht festgelegt worden ist und sie dann einen passenden Namen annehmen und auch die jeweiligen Kleider tragen mussten
Aber ich bitte Euch, das ist Theorie oder Legende, die man immer wieder gern zitiert, um die Spitzfindigkeit der Juristen zu schulen. Doch schaut hinaus auf die Straßen: Glaubt Ihr wirklich, solche Menschen liefen hier zuhauf herum?«
»Es gäbe auch eine Möglichkeit, die ich nicht für eine Predigt verwenden würde.« Claussen beugte sich zu Wrangel herüber, damit ihn niemand hörte. »Die alten Griechen kannten das, was man den Italienern nachsagt und dessen der Bruder des französischen Königs wohl ausgiebig frönen soll, auch bei den Frauen
«
Wrangel runzelte verständnislos die Stirn.
Claussen beugte sich noch weiter vor, sodass er Wrangel beinahe berührte. »Ich meine die Entsprechung zur Knabenliebe, zur Unzucht unter Männern, zur Sodomie. Es heißt auf griechisch Tribadie: Weil es Frauen an den entsprechenden Körperteilen fehlt, um einander zu sodomisieren, sollen sie sich aneinander gerieben haben, zu griechisch tri-ba-dein .«
Claussen betonte jede Silbe des Wortes einzeln. Danach ließ er sich in die Lehne seines Stuhles zurückfallen, um den Eindruck seiner Worte auf den Freund besser ermessen zu können.
Wrangel spürte, wie ihm das Blut in die Wangen schoss. »Das halte ich für ganz unmöglich«, erwiderte er aufgebracht. »Dann müssten ja diese Weiber dabei ehrliche Manneslust empfinden. Da aber der Mann das gebende, das Weib das empfangende Element ist, hat die Natur es so eingerichtet,
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