Schandweib
trotzdem hatte er es, ohne mit der Wimper zu zucken, getan. Dabei war Wrangel nun wirklich alles andere als geeignet, sich mit liederlichen Weibern abzugeben. Frauen waren ihm fremd. Er verstand sie nicht. Und mit einer Frau in Männerkleidern würde er noch weniger anzufangen wissen.
Doch damit nicht genug. Zu allem Überfluss erwähnte der Prätor dann auch noch Wrangels Bruder. Albrecht kam nach Hamburg! Niemandem wollte er weniger begegnen als seinem Bruder und dessen Frau. Schließlich war er von zu Hause fortgegangen, um sich von seiner Familie zu befreien und den Idealen einer aufgeklärten Rechtsprechung bei Gericht zu dienen.
Aber mit diesen Idealen fühlte er sich hier zusehends allein. Seine Kollegen gierten nur nach Macht und Geld und buhlten um die Gunst des Prätors. Bisher hatte er mit keinem von ihnen ein freundschaftliches Verhältnis aufbauen können. Der einzige Mensch in dieser Stadt, mit dem ihn wirklich Freundschaft verband, war der Vikar von St. Katharinen, Matthias Claussen.
Wenige Tage nach ihrem gemeinsamen Wettlauf in die Stadt hatten die beiden sich bei einem Kaffee wieder getroffen und viele Stunden angeregt miteinander diskutiert. Seitdem verabredeten sie sich jeden Mittwochnachmittag im Kaffeehaus am Kattrepel .
Kaffee war ihre gemeinsame Leidenschaft. Schon als Kind hatte Wrangel den warmen, sinnlich würzigen Duft der Bohnen geliebt, die in seiner Heimatstadt Lübeck damals nur in Apotheken zu bekommen waren, weil der Rat der Stadt ein Verbot gegen die verderbliche Unsitte des Kaffeerausches ausgesprochen hatte. Glücklicherweise stand sein Elternhaus unweit der Johannisapotheke, sodass er auf dem Weg in die Lateinschule häufig am kleinen Seitenfenster der Apotheke innehielt und den Duft frisch gerösteten Kaffees einsog, der seine Sinne auf eine Reise in warme südliche Länder schickte, die in seiner Phantasie vonschrillster Farbenpracht und exotischen Abenteuern wimmelten. Von diesen Gegenden hatten ihm die Seeleute erzählt, wenn sie nach dem Löschen der Fracht eine Pause einlegten und eine Prise Tabak priemten. Noch heute schenkte der Duft von Kaffee Wrangel einen Moment des Innehaltens und der Befreiung vom täglichen Joch.
Eine zweite Leidenschaft, die beide Männer verband, war der intellektuelle Diskurs. Beide betrachteten althergebrachte Traditionen mit kritischem Auge. Wrangel waren die an den lateinischen Gesetzesauslegungen klebenden Professoren ein Gräuel. Darum hatte er nach zwei Jahren in Kiel sein Studium in Halle bei Christian Thomasius fortgesetzt. Begierig hatte er dessen Erörterungen aufgenommen, warum man sich in der deutschen Sprache bilden, warum die Schlüsse, die man zog, vernunftbegründet, warum der Gedanke der Hexerei ein finsterer Aberglaube und warum die Folter als Mittel der Rechtsfindung verwerflich sei.
Claussen hatte Theologie in Greifswald studiert, das unter schwedischer Herrschaft stand. Obwohl die schwedischen Könige glühende Anhänger des Luther’schen Bekenntnisses waren, holten sie fähige Lehrer an ihre Universität, die den Studenten nicht nur die lutherische Orthodoxie beibrachten, sondern sie auch vertraut machten mit den Gedanken der Katholiken und den neuen Strömungen, die in der Folge der Reformation aufgekommen waren. Claussen verstand es meisterlich, sich undogmatisch dessen zu bedienen, was dem Fortschritt eines aufgeklärten Geistes zugutekam.
Es war gut, ihn gleich im Kaffeehaus zu treffen. Wrangel legte noch einen Schritt zu, als ob er sich die Wut und den Zahnschmerz vom Leib schütteln wollte. Er passierte die St.-Jacobi-Kirche , bog links in den Speersort ein und wäre beinahe aufeinem Haufen Schweinekot ausgerutscht, fing sich aber im letzten Moment. Das Kaffeehaus war zwischen zwei stattlichen Wohnhäusern eingequetscht, deren verputzte Fassaden den etwas windschiefen Fachwerkbau regelrecht gekrümmt erscheinen ließen. Aber in der Gaststube umhüllte ihn sofort eine entspannte Atmosphäre. Der Wirt hatte wie üblich für die beiden Männer einen kleinen Tisch frei gehalten. Alle anderen Tische waren besetzt, die meisten Gäste waren in eine angeregte Unterhaltung vertieft und nahmen keine Notiz von Wrangel. Er begann in der neuesten Ausgabe des Relations-Couriers zu blättern, während er auf seinen Freund wartete. Die Meldungen waren besorgniserregend. Weil der sieche und missgebildete spanische König Karl II. keinen Nachkommen hatte, meldeten sowohl der König von Frankreich als auch der Kaiser ihre
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