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Schandweib

Schandweib

Titel: Schandweib Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Weiss
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ungeteilte Aufmerksamkeit in Anspruch. Dass jemand, den Ihr liebt, Eure Begeisterung nicht teilen könnte, kommt Euch dabei gar nicht in den Sinn. So merktet Ihr vielleicht gar nicht, dass die Frau Eures Herzens andere Bedürfnisse als Ihr hatte. Mit welchen Zeichen oder Handlungen habt Ihr Elisabeth denn zu verstehen gegeben, dass Ihr sie liebt und begehrt? Ihr habt auf eine metaphysische Verwandtschaft der Seelen vertraut. Aber das reicht nicht! Wie hätte sie Euren Fortgang nach Halle denn anders verstehen sollen, als dass sie Euch gleichgültig wäre? Und, Wrangel, seid ehrlich, hättet Ihr ihretwegen auf das Studium in Halle verzichtet? Hättet Ihr auf Thomasius verzichtet? Habt Ihr wirklich um sie geworben?«
    Wrangel dachte für einen Augenblick, dass Claussen genauso gut einen Großinquisitor bei den ihm so verhassten Papisten hätte abgeben können. »Von Euch als Pastor hätte ich nicht erwartet, dass Ihr mir raten würdet, die Liebe durch Buhlschaft zu ersetzen.«
    »Ich rate Euch, nicht beides gegeneinander auszutauschen. Die reine Buhlschaft ist eine Sünde, die aber durch die Liebe erhoben wird. Die reine Liebe solltet Ihr Euch für Gott aufheben, meist ist sowieso nur Gott selbst dazu fähig. Aber zwischen Mann und Frau ist Liebe ohne Buhlerei des Fleischlichen nichts.« Er hielt inne.
    Wrangel kämpfte mit seinen Gefühlen. Sollte er Claussen diese klaren Worte übelnehmen? Oder hatte der Freund recht, und er selbst war damals blind gewesen? Nein, sein Bruder war es, der ihn hintergangen hatte. So wie schon häufig zuvor, wenn er sich dadurch einen Vorteil versprach.
    Als hätte Claussen Wrangels Gedanken erraten, bohrte er nach. »Hattet Ihr seitdem nie wieder Kontakt zu Eurem Bruder?«
    »Einmal bin ich noch nach Lübeck zurückgekehrt, Ende letzten Jahres. Da habe ich meinem Bruder eins ausgewischt. Womit man einen Kaufmann wirklich treffen kann, ist das Geld. Das Geld, das man ihm wegnimmt. Ich habe mein Erbteil eingefordert, der noch im Geschäft unseres Vaters steckte. Er beschwormich, im Andenken an den Verstorbenen mein Vermögen nicht anzurühren, aber ich wusste, dass er es im Grunde als sein Eigen betrachtete. Als Rechtsgelehrten fiel es mir auch nicht schwer zu erwirken, dass er es mir bis auf den letzten Heller auszahlen musste.« Er schwieg einen Moment nachdenklich, als wollte er Claussen zu einer Entgegnung auffordern. »Vielleicht denkt Ihr jetzt, dass ich aus Rache dazu bewegt worden sei … aber nein. Vielmehr habe ich das Vermögen genutzt, um es in den Dienst der Gerechtigkeit zu stellen. Für viertausend Reichstaler habe ich die Stelle des Prokurators am Niedergericht gekauft, den Rest in guten Renten angelegt. Das verschafft mir finanzielle Unabhängigkeit und erlaubt mir, mich ganz auf die Sachen bei Gericht zu konzentrieren, ohne mich dem kleinlichen Geschacher meiner Kollegen anschließen zu müssen.«
    »Damit habt Ihr Euch voll und ganz Eurem Amt verschrieben. Dies wiederum ist etwas, was Eurer Elisabeth eine nachträgliche Rechtfertigung bieten könnte, Euren Bruder geheiratet zu haben. Vielleicht ist er ja ein pfennigfuchsender Kaufmann, aber er vermittelt ihr wohl das Gefühl, dass er ihr seine ungeteilte Aufmerksamkeit schenkt und seine Anstrengung auf die Mehrung des familiären Vermögens und nicht auf die Bedienung hoher, unlukrativer Ideale verwendet.«
    Wrangel spürte, wie die Worte des Freundes ihn bei seinen geheimsten Zweifeln packten. »Entschuldigt, Claussen, aber ich wünsche nicht weiter darüber zu reden. Macht Euch Euren Reim darauf, doch bitte ich Euch, nicht weiter in Wunden zu stochern, die noch nicht verheilt sind.«
    »Und die auch nicht verheilen werden, wenn Ihr Euch nicht der Pein der inneren Läuterung aussetzt«, fuhr Claussen fort und legte dabei seine Hand auf Wrangels Arm. »Ihr wollt vergessen, aber das Vergessenwollen ist die Ursache dafür, dass Euch früher oder später die Vergangenheit umso stärker einholen wird.« Er machte eine Pause und zog seine Hand zurück.
    »Sie hat mich bereits eingeholt«, sagte Wrangel zerknirscht und starrte auf seine leere Tasse. »Der Prätor eröffnete mir, dass mein Bruder zusammen mit seiner Frau in Kürze als Gast seines Bruders nach Hamburg kommt. Ihr werdet ermessen können, dass diese Nachricht ein Übriges zu meinem momentanen Befinden beitrug.«
    Claussen nickte verständnisvoll. Wrangel fühlte sich, als ob sein gesamtes Inneres zu einem gewaltigen Knäuel verknotet war, das ihm keine

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