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Schandweib

Schandweib

Titel: Schandweib Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Weiss
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da bei uns doch schon immer jeder seinem eigenen Stern gefolgt ist«, unterbrach Wrangel seinen Bruder.
    »Nun, jede Tradition muss einmal begonnen werden, lieber Prokurator Wrangel«, mischte sich der Prätor ein. »Könnte es einen besseren Beginn geben, als hier und jetzt Verantwortung für diese wachsende Familie mit zu übernehmen und so die Familienbande neu zu schmieden?«
    In Wrangel kochte die Wut hoch. Wie von Hausierern über den Tisch gezogen fühlte er sich in diesem Wilken’schen Salon bei Schokolade und livrierten Dienern. Schon jegliche Konvention vergessend wollte er sich erheben und gehen, als er Elisabeths Stimme hörte.
    »Auch ich könnte mir keinen besseren Paten für mein erstes Kind wünschen als meinen alten Jugendfreund und Schwager Hinrich. Es wäre mir eine Ehre, wenn du diese Bürde auf dich nähmest.«
    Wrangel schloss die Augen und versuchte seine Gefühle zu bezähmen.
    »Der Wunsch meiner lieben Frau sei mir Befehl. So wäre es auch mir eine Ehre, Hinrich, wenn du die Patenschaft für unser erstes Kind übernähmest.«
    »Nehmt die Bitte an, Prokurator, und dann lasst uns auf diese Freude das Glas erheben!«
    Der Prätor gab einem Diener ein Zeichen, der daraufhin eine Karaffe Portwein und sechs kleine Kristallgläser an den Tisch brachte und einschenkte.
    »Meiner Schwägerin kann ich diesen Wunsch nicht abschlagen«, murmelte Wrangel in die Runde und bekam sofort von Wilken ein Glas in die Hand gedrückt.
    »Dann lasst uns trinken auf die Gründung einer neuen Tradition im Hause Wrangel und auf die künftige Patenschaft!«, ließ sich nun Michel Wilken vernehmen und erhob sein Glas.
34
    W rangel leerte sein Glas in einem Zug. Der Schnaps brannte in seiner Kehle und überdeckte so für einen Augenblick den Schmerz des Nachmittags. Aber es hielt nicht lange vor. Er hatte schon sechs Schnäpse in dieser Kneipe auf dem Wandrahm geleert, und die Scham und Wut brannten immer noch in ihm. Er hatte sich einwickeln und über den Tisch ziehen lassen. Er hatte seinem selbstgefälligen Bruder ein Zugeständnis machen müssen. Er hatte sich für die Patenschaft eines Kindes bereit erklärt, das sein Kind hätte sein sollen. Er war ein Idiot, ein Feigling, ein Schwächling.
    Der Wirt stellte auf sein Zeichen einen weiteren Schnaps vor ihm auf die Theke.
    Hätte Elisabeth ihn nicht gebeten, er hätte nie eingewilligt. Aber ihr konnte er wirklich nichts abschlagen. Wusste er doch in seinem Herzen immer noch nicht, ob er nicht falsch gehandelt hatte, als er sie allein in Lübeck ließ. Hatte er ihre Liebe wirklich verraten, so wie Claussen es sagte, weil er die Juristerei nun einmal über alles stellte? Hatte er sie in die Arme seines Bruders getrieben, weil er nicht da war, als sie ihn brauchte? Es war wohl dieses Gefühl diffuser Schuld, das ihn ihrem Wunsch, die Patenschaft zu übernehmen, nachgeben ließ.
    Wrangel setzte das gefüllte Glas Schnaps an seine Lippen. Öligfeurig züngelte die Flüssigkeit seine Kehle hinab. Er schloss die Augen und spürte, wie der Boden unter seinen Füßen schwankte. So wie er selbst schwankte in seinen Gefühlen. Freikommen wollte er von den Wrangels und hatte sich nun in die Pflicht nehmen lassen. Aber er hatte ja noch Zeit. Erst musste das Kind geboren werden. Ob er dann überhaupt zur Taufe anwesend sein würde, stand auf einem anderen Blatt. Vielleicht überlegte es sich Albrecht noch einmal anders und wählte statt seiner einen vielversprechenden Geschäftspartner als Paten. Vielleicht sogar Michel Wilken …
    In Wrangels Kopf begann sich langsam alles zu drehen. Er hielt seine Augen geschlossen, stützte den Kopf in die Hände und versuchte sich zu konzentrieren.
    In der Wirtschaft war es voll und laut. Es roch nach Männerschweiß und Bier. Die Leute redeten durcheinander, immer wieder grölte jemand laut dazwischen. Wrangel versuchte seine Aufmerksamkeit auf irgendetwas Konstantes zu richten, um nicht dem Sog des Schwindels in seinem Kopf nachgeben zu müssen. Neben ihm hockten zwei kräftige Männer in groben Hemden aus blauem Hanf mit dünnen weißen Streifen, so wie sie die Elbfischer trugen, und hielten sich an ihren Bierkrügen fest.
    »Fünfzig Mark lübisch für Jastrams Schädel? Das war ein sattes Geschäft, mein Lieber! Wer hat denn so viel für ihn lockergemacht? Ein Däne?«
    »Nein, es war ein Hamburger. Das ist es ja! Und weißt du was? Noch nicht einmal haben wollte er den Kopf. Verstecken soll ich ihn nur und beizeiten zurückbringen.

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