Schandweib
nackten Füße. Der Henkersknecht, der sie am Arm hielt, schien unschlüssig, ob er sie schon fortzerren sollte oder auf ein Zeichen des Prokurators zu warten hatte. Wrangel kämpfte um seine Beherrschung. »Wir sprechen uns noch.«
Dann wandte er sich brüsk ab und folgte den anderen Herren des Gerichtes nach draußen in den trüben Novembertag.
33
A h, Prokurator Wrangel, wie schön, Euch hier draußen zu sehen!», begrüßte Prätor Wilken Wrangel, der sich in der Diele des großzügigen Herrenhauses verloren vorkam. Noch nie zuvor hatte er eines dieser neumodischen Landhäuser von innen betreten. Er war überrascht, wie hell und klar bereits der Eingangsbereich war. Keine dunklen Balken, wie in den hanseatischen Kontorhäusern üblich, trugen die Decken, sondern glatte weiße Säulen. Auch die Türen, die von der Diele abgingen, waren hoch und hell, dabei ganz frei von Schnitzereien.
Damit setzte sich hier drinnen fort, was Wrangel schon am Äußeren des Hauses aufgefallen war. Das ganze Gebäude strahlte Eleganz und Leichtigkeit aus und griff dabei mit seinem sorgsam angelegten Garten so ungeniert Raum, wie es in den engen Straßen der Stadt unmöglich war. Viel zu teuer war dort jeder Meter, sodass einige Gassen selbst in den wohlhabenden Gegenden so eng waren, dass zwei Männer nicht aneinander vorbeigehen konnten, ohne sich zur Seite zu drehen.
Wilken riss Wrangel aus seinen inneren Betrachtungen, indem er ihm, wie schon letztens bei Gericht, freundschaftlich die Hand auf die Schulter legte. »Ich freue mich, dass Ihr Euch nicht von den unerfreulichen Umständen des Morgens habt abhalten lassen. Folgt mir in den Salon. Die anderen Gäste erwarten uns bereits.«
Stumm lief Wrangel dem Prätor nach, der mit großen Schritten durch die Diele auf eine Flügeltür zuging. Ein livrierter Diener öffnete die Tür genau rechtzeitig, dass die beiden Männer sie, ohne ihr Schritttempo mindern zu müssen, durchqueren konnten. Ein lichtdurchfluteter Salon öffnete sich vor ihnen. Mit taubenblauer Seide bezogene Kanapees und gepolsterte Stühle standen zu Sitzgruppen arrangiert entlang den Wänden, die mit Gobelins verhängt waren. Auf einem Wandteppich erfreuten sich züchtig verhüllte Schönheiten, deren weibliche Reize trotzdem nicht zu verkennen waren, an den Wasserspielen eines Springbrunnens, der zweite zeigte einen Blumengarten, in dem Paradiesvögel ihre Federpracht vorführten. Die dritte Wand war einem großen Kamin aus Marmor vorbehalten, in dem ein behagliches Feuer prasselte. Die Fensterfront, direkt gegenüber der Tür, war durchweg mit bis beinahe zum Boden reichenden Fenstern versehen sowie einer großen Flügeltür, die auf eine Terrasse führte.
Wrangel holte tief Luft und versuchte seiner Nervosität Einhalt zu gebieten. Drei Damen saßen auf den Kanapees, vor ihnen standen zwei Herren, den Rücken zur Tür gewandt, und unterhielten sie. Wilken räusperte sich kurz energisch und unterbrach so dezent den Redefluss. Die Herren drehten sich um. Wrangel erkannte Wilkens jüngeren Bruder Michel sofort am unverkennbar ähnlichen Gesichtsschnitt. Auch Michel hatte, wie sein Bruder, ein klassisches Profil mit scharfen Zügen, allerdings sah er gut zehn Jahre jünger aus, seine Augenbrauen waren weniger buschig und seine Haare noch weitgehend frei von grauen Strähnen. Als er Wrangel sah, umspielte ein wohlwollend gefälliges Lächeln seinen Mund, erfasste jedoch nicht seine silbergrauen Augen.
Schräg hinter Michel Wilken stand Albrecht. Er war im vergangenen Jahr noch fülliger geworden, aber seine braunen Haare, die er schulterlang und offen trug, waren noch frei von Silberfäden, und auch sein Gesicht hatte trotz der Leibesfülle nur mäßig von seinen markanten Zügen eingebüßt. Er war ein stattlicher Mann Anfang dreißig, in edlem dunklem Tuch nach hanseatischer Kaufmannstradition gekleidet, umgeben von einer Aura, die für Hinrich Wrangel nur so strotzte vor Selbstgefälligkeit. Im Gegensatz zu Michel Wilken zeigte sich auf Albrechts Zügen kein Lächeln. Stattdessen setzte er eine Miene wohlwollender Überraschung auf, als er seinen jüngeren Bruder erblickte.
»Hinrich, was für eine Überraschung, dich hier zu treffen, im Hause des ehrenwerten Senators Wilken, der uns seine großzügige Gastfreundschaft genießen lässt!«
»Guten Tag, Albrecht, es ist tatsächlich eine Zeit her, als wir uns das letzte Mal sahen. Du hast dich kaum verändert, wie ich sehe. Guten Tag, Senator Wilken, es ist
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