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Schandweib

Schandweib

Titel: Schandweib Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Weiss
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sie es denn gegen sie verwenden? Warum lebten sie nicht einfach friedlich miteinander?«
    »Das frage ich Euch. Ihr seid der Anwalt.«
    »Wie es scheint, wurde meine Mandantin erpresst.«
    »Das sag ich doch! Warum hat sie sich überhaupt darauf eingelassen, sich von jemand anders abhängig zu machen? Wäre sie für sich geblieben, wäre sie auch frei geblieben.«
    »Und wenn sie es allein nicht mehr aushielt? Wenn sie Sehnsucht nach Wärme hatte?«
    Ruth schaute Wrangel mit ihren funkelnden Augen an. Obwohl sie keine Miene verzog, meinte Wrangel eine Hitze zu spüren, die ihn wie ein Stich in die Brust traf.
    »Dann war ihr Wunsch nach Freiheit wohl nicht stark genug.« Ruth wandte sich ab und blickte aus dem Fenster.
    Die Felder zu beiden Seiten der Landstraße wichen einem ausgedehnten Buchenwald. Das Laub war bereits zum großen Teil von den Bäumen gefallen, nur vereinzelt wehten noch einige nasse gelbliche Blätter wie vergessene Fetzen an dünnen Ästen. Der Wind spielte mit ihnen, bis eins nach dem anderen im schunkelnden Flug auf die Erde fiel. Krähen saßen in den Ästen und schrien.
    Die Hitze in Wrangels Brust durchflutete allmählich seinen ganzen Körper. Er spürte, wie der Kopfschmerz verschwand und sich stattdessen ein Gefühl aus Wehmut und dem Wunsch nach Bewegung in ihm ausbreitete. »Manchmal kann der Preis der Freiheit einfach zu hoch sein.«
    »Das sagt Ihr als Mann, dem die Freiheit in die Wiege gelegt wurde. Ihr seid ein studierter Mann, gelehrt und unabhängig. Ihr ahnt gar nicht, wie sehr ich Euch darum beneide.«
    »Ihr beneidet mich?«
    »Ja! Mein Traum ist es, zu studieren und die Welt zu erkunden. Ich möchte reisen und frei darüber bestimmen, mit wem ich meine Zeit verbringe.«
    »Verzeiht mir, wenn ich Euch mit meiner Gegenwart nötige. Es lag nicht im Geringsten in meiner Absicht, Euch Unbehagen zu bereiten.«
    »Nein, bitte verzeiht, Ihr habt mich falsch verstanden.« Ruths Wangen erröteten, und beschwichtigend legte sie ihre Hand auf Wrangels. Sie brannte im ersten Moment wie Feuer, war aber gleichzeitig so zart und weich, dass ein schmerzlich süßes Gefühl von seinem Arm direkt in sein Innerstes kroch und dann in leichten Wellen durch seinen Körper wogte.
    »Ich wollte Euch nicht kränken, Prokurator Wrangel, vielmehr weiß ich es sehr zu schätzen, dass ich hier ungestört und offen mit Euch reden darf. Ihr seid ein intelligenter und gelehrter Mann, Ihr lebt ein Leben, das ich mir wünschen würde, dürfte ich es, und Ihr …«
    Verschreckt zog Ruth ihre Hand von Wrangels, als habe sie soeben erst bemerkt, dass sie ihn berührte. Ihre Wangen erröteten noch tiefer, und unbeholfen suchte sie nach einem Tuch, um sich das Gesicht abzutupfen. Die Haut, auf der ihre Finger geruht hatten, kühlte unangenehm aus und hinterließ bei Wrangel erneut eine Wehmut, wie er sie schon lange nicht mehr gespürt hatte.
    »Ihr habt mich nicht gekränkt, verzeiht meine scharfe Replik. Es ist mir eine Ehre und ein besonderes Vergnügen, Euch mit meiner Anwesenheit dienen zu können. Noch nie bin ich einer jungen Dame begegnet, die nicht nur durch ihre bezaubernde Erscheinung, ihr elegantes Klavierspiel, sondern auch durch die Brillanz ihres Geistes strahlt.«
    Ruth blickte verlegen auf ihre Hände und spielte mit dem Tüchlein.
    »Aber seht nur«, versuchte Wrangel das Gespräch in seichtere Gefilde zu ziehen, »wir fahren bereits durch den Wald. Dahinter liegt Wandsbek. So sollten wir in Kürze dort eintreffen.«
36
    D er Himmel wurde bereits fahl, als Jurek Wrangel vor dem Gasthof absetzte, in dem er die Nacht verbringen wollte. Die Luft war kalt und feucht und kroch sogleich unter Wrangels Kragen. Fröstelnd schlang er seinen Umhang fester um sich und strebte nach der Tür.
    Die Gaststube war bereits gut gefüllt, angeregtes Stimmengewirr mischte sich mit dem Klirren von Krügen. Wrangel hatte einige Mühe, sich zur Theke hindurchzuschieben, um den Wirt nach einem Zimmer zu fragen. Doch kaum hatte dieser den großen jungen Mann in dem schweren Umhang gesehen, war er auch schon zur Stelle, als schiene er das gute Geschäft zu riechen. Keine zehn Minuten später war Wrangel wieder vor der Tür und folgte einem jungen Burschen, der ihn für ein paar Münzen zu Pastor Bredefeld führen sollte.
    Das letzte Tageslicht war schon beinahe gewichen, als sie vor dem kleinen Pastorat ankamen. Wrangel entlohnte seinen Begleiter und klopfte an die Tür. Es dauerte eine Weile, bis sich eine kleine Klappe

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