Scharfe Pranken
vorstellen, wie übel es gewesen wäre, wenn ihnen ein derartiges Unglück bei ihrem Vater passiert wäre.
»Sollten wir das lieber wegräumen?«, fragte sie schließlich. »Oder soll er die Zerstörung mit eigenen Augen sehen?«
»Ich weiß es nicht. Er wird in ein paar Minuten wieder zurück sein …«
Als das Telefon klingelte, richteten beide ihren Blick darauf. Als es zum dritten Mal läutete, knuffte Blayne Bo in die Seite, und er lehnte sich hinüber und nahm den Hörer ab. »Hallo?« Er sah Blayne an und nickte. »Okay. Sicher. Kein Problem. Bis später.« Bo legte wieder auf. »Der Wind, dem wir die ganze Zeit keine Beachtung geschenkt haben, hat sich inzwischen in einen Sturm verwandelt. Er ist ziemlich heftig, und Grigori übernachtet heute auf Dr. Luntzs Couch.«
»Ja, sicher«, schnaubte Blayne.
»Was denn?«
»Sicher. Auf ihrer Couch. Klar.«
»Wovon redest du da?«
»So naiv kannst du doch nicht sein.«
»Naiv in Bezug worauf?«
»Bo, die beiden schlafen miteinander. Schon eine ganze Weile, soweit ich das beurteilen kann.«
»Dr. Luntz und Grigori? Nein.«
»Doch. Er ist verrückt nach ihr. Siehst du das denn nicht?«
»Nein, tu ich nicht. Und diese Unterhaltung ist mir alles andere als angenehm.«
»Ich finde es süß. Sie streiten sich, um zu verbergen, was sie wirklich füreinander empfinden.«
»Die beiden streiten sich schon, seit man mich damals hierhergebracht hat.«
»Sie will nicht, dass es jemand erfährt.« Blayne zuckte zusammen. »Sie ist doch nicht verheiratet, oder?«
»Ihr Mann ist vor ein paar Jahren gestorben.«
»Na, da hast du’s doch. Sie ist noch nicht bereit für eine richtige Beziehung. Aber Grigori wartet auf sie. Das ist so süß.«
»Woher nimmst du das nur alles?«, fragte er.
»Instinkt. Erkennst du nicht, wenn zwei Leute wahnsinnig verliebt ineinander sind?«
»Anscheinend nicht.«
»Sie hat wahrscheinlich Kinder, oder?«
»Erwachsene Kinder. Ihre Tochter arbeitet als Ärztin im Krankenhaus.«
»Spielt keine Rolle. Sie lieben ihren Vater trotzdem noch, und ich bin sicher, dass sie denkt, die Sache würde sie verletzen. Aber die beiden sind so ein süßes Paar. Ich wette, er liebt sie schon seit Jahren«, seufzte Blayne. »Das ist so romantisch.«
»Du hast mir das Schienbein blau geschlagen.«
Blayne seufzte erneut, aber diesmal war sie genervt. »Ist das alles, was du dazu sagen hast?«
»Ja! Weil ich nicht mehr darüber sprechen will!«
»Na schön. Dann werden wir eben beide so tun, als sei dein Onkel ein unberührter Schuljunge und Dr. Luntz die Jungfrau Marci. Und wir können gerne so tun, als seien sie genau in diesem Moment nicht bei ihr zu Hause und würden es … miteinander treiben. Bumm-Schakalaka.«
»Okay«, sagte Bo, »dann beweise es.«
»Es beweisen? Du willst, dass ich das Vögeln beweise?«
»Ich will, dass du beweist, dass mein Onkel und Dr. Luntz unzüchtig miteinander sind.«
»Oh, mein Gott! So nennst du das?«
»Wenn es meinen Onkel und Dr. Luntz betrifft, dann ja! Und jetzt beweis es!«
»Also gut!« Blayne erhob sich und marschierte in den Flur hinaus. Sie steuerte direkt auf Grigoris Zimmer zu. Im Gegensatz zu seinem Neffen war Grigori zwar ordentlich, aber nicht zwanghaft. Sie war erleichtert, das zu sehen. Sie ging zu seinem Nachttisch und öffnete die Schublade. Mit einem triumphierenden Lächeln hielt sie die angebrochene, extrem große Schachtel mit Kondomen in die Höhe. »Und damit ist nicht nur bewiesen, dass Grigori kein unschuldiger Schuljunge mehr ist, sondern auch, dass Safer Sex in jedem Alter wichtig ist!«
»Aaah!« Bo wandte sich ab und stampfte wieder aus dem Zimmer. »Ich halte das nicht aus!«
»Was ist denn los?«, fragte sie und folgte ihm. Nach Luft schnappend blieb sie abrupt stehen. »Bist du in Dr. Luntz verliebt?«
Bo wirbelte zu ihr herum. » Was? Igitt! Nein! Sie ist … sie ist wie …«
»Eine Mutter für dich. Oh, wie süß! Du willst nicht, dass er die Frau entehrt, die wie eine Mutter zu dir war.«
»Warum führen wir diese Unterhaltung eigentlich?«
»Weil du wegen einer halb leeren Schachtel Kondome ausgeflippt bist.«
»Weil du nicht aus der Dusche gekommen bist!«
»Sind wir also wieder bei dem Thema?«
»Ja!«, brüllte er. »Sind wir!«
»Schön«, sagte sie ruhig. »Dann ignoriere eben die Realität deiner gegenwärtigen Situation.«
»Und welche Realität wäre das?«
»Dass wir allein sind und nackt und dass wir eine halb volle Schachtel
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