Scharfe Pranken
ihren Händen durchs Zimmer ging. Auch wenn er die freie Aussicht auf ihre langen Beine genoss, musste er fragen: »Was machst du da?«
»Wonach sieht’s denn aus?« Sie machte einen Überschlag und landete direkt vor ihm. »Ich muss laufen gehen«, wiederholte sie, und ihm war klar, dass sie damit nicht meinte: »Ich hatte zu viele Krapfen und muss ein paar Kalorien verbrennen.«
»Warum musst du denn laufen gehen?«
»Weil sich bei mir eine Menge Energie aufgestaut hat, und wenn ich die nicht abbauen kann, dann darf man mich für die Folgen nicht verantwortlich machen.«
»Das klingt irgendwie nach einer Drohung.«
»Das ist es auch irgendwie.«
Bo betrachtete sie. »Mit den Klamotten kannst du nicht laufen gehen.«
»Ich weiß. Die Stiefel sind viel zu groß, und die Hose ist viel zu klein.« Sie beugte sich um ihn herum und schaute in seinen Kleiderschrank. »Hast du irgendwas, das ich mir ausleihen kann?« Als er schnaubte, fügte sie hinzu: »Von früher, als du noch ein Kind warst?«
»Sicher.« Bo stellte sich vor den Schrank und holte eines seiner alten Trikots heraus. Er zog es über ihren Kopf, führte ihre Arme durch die Ärmel und ließ das Trikot fallen.
»Ich kann unmöglich in einem Kleid joggen gehen«, sagte sie, ohne sich überhaupt anzuschauen, was er für sie ausgesucht hatte.
»Das ist kein Kleid – ich habe seit meiner Taufe kein Kleid mehr getragen.« Er schob sie vor den Wandspiegel. »Das ist mein Hockeytrikot aus der Junior Highschool. Das habe ich getragen, als ich zwölf war.«
»Ich hab das Gefühl, dass du mir irgendwas mitteilen willst.«
»Das will ich auch. Ich muss dir erst was zum Anziehen kaufen. Falls wir überhaupt was in deiner Größe finden.«
»Okay. Ich zahl es dir zurück, wenn das alles hier vorbei ist.«
»Nein.«
»Nein?«
»Wenn du es mir zurückzahlen musst, dann grenzt das ein, was und wie viel ich dir kaufen kann. Ich mag keine Grenzen. Deshalb …«
»Deshalb?«
»Deshalb wirst du annehmen, was ich dir kaufe, und dich mit einem ›Dankeschön‹ dafür bedanken. Und da ich weiß, dass du das vermuten wirst: Auch Sex wird für diese Klamotten als Zahlungsmittel nicht nötig sein.«
»Bist du sicher, dass du nie aufs College gegangen bist?«
»Ganz sicher. Ich hab nur eine Menge Bücher gelesen. Solltest du auch mal versuchen.«
»Bücher … so unendlich langweilig!« Blayne hob den Saum seines Trikots hoch, als sei es ein Kleid, und drehte sich im Kreis wie ein kleines Mädchen, das stolz sein neues Geburtstagskleid präsentiert. »Wie wär’s, wenn du mir kaufst, was du möchtest, und ich dir was zum Abendessen koche, wenn wir wieder zu Hause sind? Ich lege sogar noch meine sensationelle Mousse au Chocolat obendrauf. Weil ich so großzügig bin.«
»Ich bin einverstanden, wenn du meine Küche benutzt.«
»Du hast meine Küche doch geputzt – sie ist absolut bereit für kulinarische Dienstleistungen.«
»Aber sie ist so klein. Du kannst meine benutzen.«
»Du hast deine Küche bestimmt fast zu Tode geputzt, oder?«
»Nein, habe ich nicht. Um ehrlich zu sein, habe ich dafür nicht mehr die nötige Zeit. Deshalb engagiere ich Leute, die das für mich machen. Sie haben meinen Weißer-Handschuh-Test bestanden, und das ist alles, worauf es mir ankommt.«
Blayne lachte und lehnte sich entspannt zurück, bis ihr Kopf auf seiner Brust ruhte. Sie lächelte ihn im Spiegel an. »Dein Sinn für Humor ist nicht für jeden was, aber ich muss zugeben, dass er mir allmählich ans Herz wächst. Schleichend, wie ein Pilzbefall.«
»Das ist wirklich reizend.«
Sie neigte den Kopf zur Seite. »Ich höre ein Auto.«
»Das ist der Polizeichef, deshalb werde ich es kurz machen: Du kannst dich an nichts mehr erinnern, was bei dem Angriff passiert ist, nachdem sie dich aus meinem Wagen gezerrt haben.«
»Kann ich nicht?«
»Nein.«
»Und warum nicht?«
»Weißt du noch, wie besorgt du warst, wie ich auf das reagieren könnte, was ich in dem Lieferwagen beobachtet habe?«
»Ja?«
»Versuch es in diesem Fall mal mit dieser Logik: Wolfshunde haben einen gewissen Ruf, Blayne. Wenn du diesen Ruf mit bestimmten Fähigkeiten kombinierst, die ein liebender Vater seiner Tochter antrainiert hat, dann ist das Resultat besorgte Bären. Besorgte Bären führen zu schreckhaften Bären, die wiederum zu tragischen, üblen Verletzungen führen. Und die sollten wir auf ein Minimum beschränken.«
»Ich verstehe nicht. Willst du damit sagen, dass alle wissen, was
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