Schatten der Wahrheit
Northwind-Regimenter hatten sie nach Hause gerufen, und die Rückkehr war dringend genug, dass man ihr sogar den Flug bezahlte... allerdings nur Touristenklasse. Schließlich war Northwind nicht aus Geld gemacht. Kapitänin Bishop hätte den Differenzbetrag für ein Erster-Klasse-Ticket aus eigener Tasche bezahlen können - der größte Teil ihres Solds für die Zeit auf Addicks brannte ihr ein Loch in die Börse -, es war ihr die Mühe jedoch nicht wert.
Außerdem war es ihr in der Ersten Klasse zu still und wohlerzogen. Die Touristenklasse schien lustiger. Sie konnte jeden Abend Poker spielen, bis der Barmann den Salon schloss, um die Tische abzuräumen und die Gläser zu waschen. Kapitänin Bishop spielte gerne Poker, und sie war gut genug, um meist zu gewinnen. Viel mehr hatte es auf Addicks zwischen den Kämpfen gegen Katana Tormarks Des Drachen Zorn - und danach gegen Kev Rosses Geisterkatzen - nicht zu tun gegeben. Also hatte sie die
Zeit genutzt, ihr natürliches Talent zum Bluffen zu schärfen.
Ihr Ticket deckte Unterkunft und Mahlzeiten an Bord der Pegasus ab und auf Northwind wartete ein neuer Posten auf sie. Sie konnte es sich leisten, mit ihrem ganzen Restsold zu zocken, ohne sich Sorgen zu machen, falls sie verlor. Zumindest für Bishop lag der Reiz des Spiels in der Möglichkeit, ihr Können zu beweisen. Die Erregung des typischen Spielers bei der Aussicht, groß abzuräumen oder alles zu verlieren, war ihr fremd.
Zwei der drei übrigen Spieler an diesem Abend waren aus demselben Holz geschnitzt wie sie. Tara Bishop hatte sie am Abend zuvor zum ersten Mal in Aktion gesehen. Sie hatte sich mit ein paar Stones Gewinn aus dem Spiel verabschiedet, doch war sie dabei noch mehr oder weniger nüchtern gewesen, im Gegensatz zu einigen der anderen am Tisch. Der Mann mit der Augenklappe und die Frau mit dem Dolch im Ärmel - sie glaubte vermutlich, er sei versteckt, aber Bishop hatte Erfahrung auf diesem Gebiet - hatten sich dagegen den ganzen Abend am selben Drink festgehalten.
Das hatte Bishop neugierig gemacht. Von dieser Neugier getrieben, war sie länger aufgeblieben und hatte vom Datenterminal ihrer Kabine aus die Passagierliste eingesehen. Eigentlich hätte sie dazu nicht in der Lage sein dürfen, aber das Leben bei den Northwind Highlanders hatte Kapitänin Bishop eine ganze Reihe nützlicher Fähigkeiten eingebracht, und das unbemerkte Eindringen in Computersysteme stand ziemlich weit oben auf dieser Liste.
Der Mann mit der Augenklappe und die Frau mit dem Dolch - Farrell und Jones, so alltägliche und nichts sagende Namen, dass sie höchstwahrscheinlich als falsch gelten konnten - waren unabhängig voneinander an Bord gekommen, und die Dokumentspuren, die sie hinterlassen hatten, führten auf verschiedene Planeten. Es gab keinen Anlass, sie als Komplizen zu betrachten. Aber ihr Gefühl sagte ihr, dass sie unter einer Decke steckten, und zwar aus demselben Grund, aus dem sie an Bord Poker spielte: aus schierer, überwältigender Langeweile.
In diesem Moment hatte Kapitänin Tara Bishop beschlossen, sich am kommenden Abend zu amüsieren.
Jetzt saßen vier Personen am Pokertisch: Bishop, Farrell, Jones und der schlaksige junge Herr, den die beiden, allen Anschein nach, ausnehmen wollten. Bishop und die beiden Spieler waren nüchtern. Das Opfer des Abends war es, wie nicht anders zu erwarten, nicht.
Das Opfer - Thatcher Wilberforce oder Wilberfor-ce Thatcher, Bishop war sich nicht sicher, welcher der Vor- und welcher der Nachname war - hatte momentan auch deutlich mehr gewonnen als Jones und Farrell. Vermutlich war das Absicht. Die beiden Spieler machten sich einen Spaß daraus, ihn euphorisch werden zu lassen, damit er sein Urteilsvermögen mit reichlichen Drinks einschläferte, bevor sie sich wie Krähen auf ein Stück Aas auf ihn stürzten.
Ha, dachte sie und verbarg ihre Verachtung unter einer Maske hohler Leutseligkeit. Macht, dass ihr weiterkommt. Für euch gibt's hier heute kein totes Fleisch. Ich werde euch schon zeigen, wo Bartel den Most holt.
Erst musste sie jedoch Thatcher loswerden, oder Wilberforce, oder wie auch immer er hieß. Bishop unterdrückte ein erwartungsvolles Grinsen und setzte ihren Plan in Marsch, indem sie sich zu dem jungen Mann umdrehte.
»Sie haben heute Nacht das Glück gepachtet«, beklagte sie sich. »Ich komme kaum mit, und die beiden hier« - sie wedelte mit der Hand zu Farrell und Jones hinüber - »sitzen praktisch auf Grund.«
Thatcher blinzelte.
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