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Schatten eines Gottes (German Edition)

Schatten eines Gottes (German Edition)

Titel: Schatten eines Gottes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Ahrens
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alle Menschen: Bauern und Knechte, Händler und Handwerker, Landsknechte und Bettelleute.
    So war es kein Zufall, dass er Emanuel eines Tages in der Bibliothek begegnete und sie ins Gespräch kamen. Amüsiert betrachtete er den Stapel Bücher, die dieser zusammengetragen hatte.
    »Emanuel! Wann willst du das alle lesen?«
    »Aber Meister, wir haben Winter.«
    »So. Und was tust du im Sommer? Auch lesen.«
    »Seid Ihr mit mir unzufrieden? Ich dachte, die Bildung stehe in Neubabylon an erster Stelle?«
    »Gewiss. Aber sie muss auch umsichtig eingesetzt werden. Nicht um sich mit kluger Rede zu spreizen, sollen Menschen Wissen erwerben oder weil es sie kitzelt, zu den Weisen gerechnet zu werden, sondern damit ihnen ein Licht aufgeht, wie sie leben sollen. Wissen muss zu rechtem Tun führen.«
    Emanuel wusste schon, was Monthelon ihm damit sagen wollte: Er sei unnütz wie eine vollgeschriebene Tafel, die niemand lese.
    »Im Frühling schicke ich dich und Bernardo hinaus. Ich trage euch auf, die neue, die gute Lehre zu verbreiten.«
    »Aber man wird uns als Ketzer festnehmen.«
    »Nicht, wenn ihr es klug anstellt. Beispielsweise werdet ihr euch vor allem durch gute Taten hervortun, die guten Worte kommen dann von allein.«
    Emanuel fand diese Aussicht nicht erhebend. Sicher hatte Bernardo dem Meister das eingeredet. Aber gegen ihn lehnte man sich nicht auf. Außerdem hatte er recht. Die Ziele der Bewegung durften nicht in Neubabylon vor sich hinmodern.
    »Wünscht Ihr, dass wir draußen die Lehre des Mithras verbreiten? Oder ist Euch der Gottesbezug inzwischen – wie soll ich es sagen – nicht mehr so wichtig?«
    »Was ich denke und glaube, ist nicht von Belang. Das Christentum kann man nicht abschaffen, davon bin ich inzwischen überzeugt. Mithras müssen wir benutzen wie eine inwendige Fackel, die das Gute im Christentum zum Leuchten bringt.«
    »Wie die neuen Zehn Gebote Jesu«, ergänzte Emanuel beflissen.
    Monthelon lächelte mild. »Es tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, Emanuel, aber die stammen nicht von Jesus. Die hat unser guter Abt Nathaniel selber verfasst und durch dich und Octavien ausgraben lassen. Es war alles ein einziger, großer Betrug, geplant von unserem verstorbenen Meister.«
    Emanuel fasste sich an die Brust. »Nathaniel hat …?« Er konnte diesen Gedanken nicht zu Ende führen, zu ungeheuerlich war, was er da hörte.
    Monthelon nickte. »Du erinnerst dich an das Treffen in Altenberg? Octavien in seinem Überschwang erwähnte irgendein geheimnisvolles Pergament seines Vorfahren. Das brachte Nathaniel auf die Idee, eine Reliquie zu fälschen und sie von Octavien finden zu lassen. Natürlich auf verschlungenen Wegen.«
    »An denen Ihr nicht unschuldig wart, Meister.«
    Monthelon seufzte. »Ich bekenne mich schuldig. Nathaniel überzeugte schließlich Bischof Hengebach, du möchtest Octavien begleiten. Er wollte, dass jemand von der Kirche als Zeuge dabei war, um die Echtheit des Pergaments zu unterstreichen.«
    »Aber ich habe entdeckt, dass es ein Palimpsest war.«
    »So ist es. Das war nicht vorgesehen. Du warst einfach zu schlau. Und so verlor das gefälschte Pergament am Ende seinen Nutzen.«
    Emanuel erinnerte sich an die Niederlage, die Nathaniel in Rom erlitten hatte. »Aber dann wollte Nathaniel in Rom sogar die eigene Bewegung täuschen?«, stellte er fassungslos fest.
    »Ja, er glaubte stets, er müsse alles allein stemmen, alles hinge von ihm ab. Er hatte wenig Vertrauen zu anderen Menschen, nicht mal zur Bewegung, das war seine Schwäche.«
    ***
    Für Sinan war der Winter eine Zeit, die ihm sehr zu schaffen machte. Missvergnügt verbrachte er die Tage, und weil es ihm an Ablenkung fehlte, holten ihn die Erinnerungen ein. Immer wieder sah er die Bilder vor sich, wie er seinem Meister das Messer in die Brust rammte oder wie er in Tibur die Villa leer vorgefunden hatte, bis auf ein paar Zeilen und eine Haarsträhne. Er holte sie täglich hervor, betrachtete sie, strich über sie hin und schnupperte an ihr. Er bildete sich ein, sie verströme immer noch Nicholas’ Duft, und jedes Mal überkam ihn ein jämmerliches Gefühl. Er fühlte sich unnütz und verlassen. Die hochfliegenden Pläne, die Bewegung einmal zu führen, hatte er aufgegeben. Seine Fähigkeiten als Sicario wurden nicht mehr benötigt. Die einst herbeigesehnte Weihe zum Parsen hatte er abgelehnt. Monthelon wollte ihn überreden, die Knaben zu unterrichten, aber Sinan hatte sich Bedenkzeit ausgebeten. Ein Lehrer

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