Schatten eines Gottes (German Edition)
Söhne deines früheren Gebieters, Fürst Abu Yahya al Karim. Ich bin ihm einmal in Akkon begegnet.«
»Oh!«
»Ich bin der Meinung, hier ist nicht der richtige Ort für sie und für dich auch nicht.«
»Ich kann nirgendwo anders hingehen.«
»Das könntest du mit meiner Hilfe und der Hilfe des Meisters.«
»Was für ein Meister?«
»Der Meister des Lichts, dem ich diene. Ich bin sein Auge und sein Ohr in dieser Burg. Andere dienen ihm an anderen Orten. Mehr darf ich dir nicht verraten. Er hält es für eine Schande, wenn die Söhne Karims auf Lichtenfels aufwachsen, denn hier werden sie am Ende nur Lakaien sein. Man wird sie nicht aufsteigen lassen, weil sie Sarazenen sind.«
Vanisha nickte. »Aber was kann Euer Meister tun?«
»Er wird sich der Knaben annehmen. Sie werden eine ausgezeichnete Bildung erhalten, wie sie Adligen geziemt. Du selbst würdest eine Summe Goldes erhalten, die es dir ermöglicht, in deine Heimat zurückzukehren und dort nach deinen Wünschen zu leben.«
Vanisha nippte an ihrem Becher und lächelte kühl. »Was für ein verlockendes und großzügiges Angebot. Aber woher weiß ich, dass ich Euch trauen kann? Womöglich schickt Euch der Graf, um mich zu prüfen?«
»Weshalb sollte er? Der Graf ist blind vor Begierde nach dir, Vanisha. Solange sie frisch ist, wird er nichts gegen dich und die Kinder unternehmen. Aber Leidenschaft kann vergehen, erlöschen. Solange sie hell lodert, solltest du dich entschließen, mir zu vertrauen.«
Vanisha wäre am liebsten aufgesprungen und hätte den alten Kilian vor Freude umarmt, aber sein plötzliches Angebot kam so überraschend, dass sie es noch nicht fassen konnte. Bestimmt war das, was er sagte, nur eine Fata Morgana wie man in ihrer Heimat gesagt hätte. War es möglich, dass das Glück wie ein Sturzbach über einen hereinbrechen konnte?
»Was – müsste ich denn dafür tun?«, fragte sie zögernd.
»Nichts. Nur warten. Warten auf den richtigen Zeitpunkt. Natürlich wirst du mit den Kindern von Lichtenfels fliehen müssen. Wenn der Meister die Zeit für gekommen hält, wird er einen Wagen schicken.«
»Und wann wird der Meister die Zeit für gekommen halten? In einem Jahr? In zwei Jahren?«
Die Ironie in ihren Worten entging Kilian nicht, aber er lächelte nachsichtig. »Sei unbesorgt. Es dürfte sich nurmehr um Wochen handeln.«
***
Der Herbst hatte die Bäume entlaubt, Stürme fegten über das Land. Nur wenige Tage bis Allerseelen, da man der Toten gedachte. Doch nicht jeder im Lande glaubte, dass die Toten schliefen. Es war eine gefährliche Zeit, jeder wusste, dass die Totengeister in der Nacht durch das Land der Lebenden streiften, Mensch und Vieh verhexten, Plagen und jede Art von Unglück brachten, denn im Herzen der Bevölkerung war die heidnische Vergangenheit lebendig wie eine frisch erblühte Blume. Die abergläubischen Knechte und Mägde versäumten nicht, untereinander über die ungünstigen Zeichen zu tuscheln, die diese dunkle Zeit begleiteten. Ein fortgewehtes Strohdach, ein umgestürzter Zaun oder ein im Brunnen ertrunkenes Tier konnte in diesen dunklen Stunden keine natürlichen Ursachen haben. Und an allem war die Sarazenin mit ihrer Brut schuld. Sie hatte die teuflischen Mächte angezogen, die stets darauf lauerten, einen Spalt in der Mauer des christlichen Glaubens zu finden, um hindurchzuschlüpfen. Es war Pater Anselm, der dieses Gerücht heftig schürte.
Am Abend vor Allerseelen wollte er dem Grafen noch einmal eindringlich ins Gewissen reden. »Ich muss wohl nicht erst aus der Heiligen Schrift zitieren, um Euch zu weissagen, dass diese Heidin Euer Unglück sein wird«, grollte er, nachdem er dem Grafen in der Hauskapelle die Beichte abgenommen hatte.
Graf Rüdiger furchte die Stirn und zupfte ungeduldig an seinem Bart. »Was soll das, Pater? Vanisha wird sich bald taufen lassen.«
Pater Anselm hob seufzend die Hände. »Sie ist eine Zauberin! Sie wird Unheil bringen über Euch und Lichtenfels, Unheil über ganz Unterwalden.«
Graf Rüdiger wedelte verächtlich mit der Hand. »Ihr seht Gespenster!«
Er war der Meinung, die Pfaffen hätten schon zu viel Einfluss, und sie selbst seien es, die den Leuten solche Grillen erst in die Köpfe setzten. Nein, er würde die schöne Sarazenin nicht fortjagen, denn er war ihr hoffnungslos verfallen.
Nachdem der Pater sich schmollend zurückgezogen hatte, ließ Rüdiger nach ihr rufen. Vanisha betrat sein Schlafgemach. Seit der Majordomus mit ihr gesprochen hatte,
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