Schatten eines Gottes (German Edition)
das Feuer im Kamin war. Aber wer, bei des Teufels Großmutter, hatte das Feuer angezündet? Selbstverständlich wurde es von den Dienern zur Nacht gelöscht. Hatte das ein betrunkener Knappe vergessen? Nein, das war unmöglich. Rüdiger hätte das Feuer bei seinem Eintreten bemerkt, wie betrunken er auch gewesen sein mochte.
Da vernahm er ein Geräusch, ein leises Scharren hinter dem Vorhang, wohin der Feuerschein nicht reichte. Sein Kopf fuhr herum. Er lauschte angespannt. »Mathilde?«, flüsterte er.
Niemand antwortete. Der Graf nahm die Kerze und ging auf den Vorhang zu. Furcht kannte er keine. Doch plötzlich richteten sich seine Nackenhaare auf. Die Kerze in seiner Hand bebte. Er nahm einen bestimmten Geruch wahr, und als der Graf zwei, drei Schritte näher trat, verstärkte er sich. Seine Knie begannen zu zittern, er wagte nicht, sich zu rühren. Diesen Geruch hätte er unter allen Gerüchen der Welt wiedererkannt. Über zwanzig Jahre waren vergangen, doch jäh stand ihr Bild ihm vor Augen, als sei es gestern gewesen. Vanisha! Nur sie hatte diesen herbsüßen orientalischen Duft verströmt, es war ihr Lieblingsparfüm, sie hatte es Nachtschatten genannt.
Der Graf fühlte sich schlagartig nüchtern. »Vanisha?«, flüsterte er heiser. »Bist du es?«
Die Falten des Vorhangs bewegten sich. Dahinter verbarg sich jemand. Mit einer beherzten Bewegung riss er ihn zur Seite. Aus dem Schatten wuchs eine Gestalt, nahm Formen an. Rüdiger stieß einen erstickten Schrei aus. Die Kerze entfiel seiner kraftlosen Hand. Sie war es! Er erkannte sie sofort, obwohl sie halb verschleiert war. Er erkannte sie an ihren Augen, an ihrem Haar. Vanisha war in ein weites orientalisches Gewand gekleidet. Mit der Linken hielt sie sich den Schleier vor das Gesicht. Die Rechte streckte sie nach ihm aus. »Liebster!«, hauchte sie und kam einen Schritt auf ihn zu.
»Vanisha!« Seine Stimme hatte keine Kraft mehr, war nur noch ein schwacher Hauch. »Du bist zurückgekommen!« Aber etwas an ihrer Art hielt ihn ab, sie sofort in seine Arme zu reißen. Etwas an dieser Gestalt war unheimlich.
»Ja, ich bin hier, Rüdiger.«
Ihre verführerisch dunkle Stimme war noch tiefer als früher.
»Ich – ich bin überaus glücklich, dich zu sehen, Vanisha, doch wie kommst du – hast du das Feuer entzündet?«
»Mir war so kalt, Geliebter. Es ist kalt im Totenreich. So kalt.«
Rüdiger wich entsetzt einen Schritt zurück. »Was redest du da?«
»Ich bin gestorben, Geliebter. Ach wäre ich doch nie geflohen. Ich bin verhungert, erfroren. Meine Seele irrte umher, fand keinen Frieden. Gib du mir meinen Frieden, Rüdiger.«
»Nein!«, brüllte Rüdiger entsetzt und taumelte rückwärts. »Weiche von mir! Verschwinde, böser Geist! Es ist nur ein Traum, ein Traum! Ich habe zu viel getrunken. Ich träume das nur. Hinweg mit dir!«
Er stolperte über die Kerze, die inzwischen erloschen war, taumelte zu Boden und fiel auf die Knie. Er war zu schwach, sich zu erheben. Ihr Gesicht schwebte auf ihn zu, senkte sich auf ihn nieder, ihr Haar bedeckte sein Gesicht, ihr Atem war heiß und wollüstig wie der einer babylonischen Hure. Rüdiger spürte einen Körper unter ihren Gewändern, sie war kein Gespenst. Ihr Schleier fiel, ihre Schönheit überwältigte ihn, ihr junges Gesicht überraschte ihn, sie schien überhaupt nicht gealtert. Ihre roten Lippen öffneten sich, in seine Lenden strömte die Lust. Er zog sie an sich, halb verrückt vor Wonne, ihre Haut schien durchsichtig wie Licht, ihre Augen waren dunkles Eis, ihr Haar schwärzer als die Nacht. »Vanisha!«, flüsterte er.
Vanisha entwand sich seinen Armen wie eine Schlange. »Geh nicht!«, würgte er hervor. Seine Hände tasteten fahrig zwischen seine Schenkel, bis sie das pochende Fleisch spürten, in dem ein Dämon zuckte.
Vanisha hatte sich in den Schatten zurückgezogen. Ein heiseres Flüstern füllte den Raum. »Gib mir meinen Frieden.«
»Alles, was du willst«, keuchte der Graf. Seine Hand glitt zwischen seine Schenkel. Nun biss der Dämon in seine Lenden, stieß glühende Nadeln hinein, so heiß, so schmerzhaft, so süß! Rüdigers aufgerissene Augen starrten ins Leere, sein Körper schwankte wie ein führerloses Boot im Sturm.
»Ich habe dich immer geliebt«, hauchte sie. »Nur dich. Ich starb aus Sehnsucht nach dir.«
»Vanisha!« Er streckte die Arme nach ihr aus. »Komm zu mir!«
Da stieß sie jäh ein höhnisches Gelächter aus. »Geh ins Bett, alter Mann! Ich bin nicht deine
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