Schatten eines Gottes (German Edition)
herausgeführt hatte.
Im Hof kam sofort ein Bruder auf sie zu, um ihnen die Pferde abzunehmen, und hieß sie im Namen des Herrn willkommen. Nathaniel dankte ihm und wandte sich an Emanuel und Octavien. »Sicherlich wollt ihr euch nach der langen Reise erfrischen und stärken? Für euch steht ein Bad bereit. Die Mahlzeit nehmen wir in meinen Räumlichkeiten anschließend gemeinsam ein.«
»Darf ich euch bitten, mir zu folgen?«, sagte der Bruder. Der ehrwürdige Abt legt großen Wert darauf, dass ihr euch bei uns wohlfühlt. Wir in St. Marien wissen um die Mühsal, die es bereitet, zu uns durchzudringen.«
Ein Bad und eine Mahlzeit. Das klang verheißungsvoll, besonders für Octavien. Ihnen wurden Zimmer im Gästehaus zugewiesen, die einfach, aber nicht karg eingerichtet waren. Nachdem sie ihre Habseligkeiten in einer Truhe verstaut hatten, kam schon der Bruder, um sie in die Badestube zu führen, was Octavien wohlwollend aufnahm. Selbstverständlich gab es getrennte Nasszellen. Emanuel nahm das erleichtert zur Kenntnis.
Eine Klause mit Badestube! So einen Luxus erlaubte man sich nicht einmal in Altenberg. Aber vielleicht sollte man es den Mönchen in dieser Einsamkeit gönnen. Emanuel fand einen Zuber mit warmem Wasser und reichlich sauberen Tüchern vor. Der Bruder ließ ihn allein, und Emanuel konnte die Kammer mit einem Riegel verschließen. Auch das war unüblich in einem Kloster, denn die Aufsichtspersonen mussten jederzeit Zutritt haben zu jenen Orten, die gern für unzüchtige Handlungen missbraucht wurden.
Die Wohltat, sich nach tagelangem Ritt in das warme Wasser gleiten zu lassen, war unbeschreiblich. Emanuel hätte es noch eine Weile in dem Zuber ausgehalten, doch bald klopfte es an die Tür. Das Essen wartete.
Emanuel trocknete sich rasch ab, zog sich an, knotete den Gürtel um seine Lenden und beeilte sich, dem Bruder zu folgen. Auch Octavien war bereits fertig. Sie überquerten den Hof und betraten eins der unscheinbaren Gebäude neben dem Kirchlein.
Nathaniel erwartete sie in seinem Privatgemach, das nur Auserwählte betreten durften. Es war viel geräumiger als ihre Zimmer im Gästehaus und lag nach Süden, der Sonne zugewandt. Das Wetter war mild, deshalb stand die Tür zur Terrasse offen, die zugezogenen Vorhänge bauschten sich leicht im Wind. Der Raum war möbliert mit Teppichen, Truhen, Sitzkissen und flachen Tischen. Darauf standen Karaffen mit Wein, kostbare Becher, Schalen mit Obst und Gebäck. Am Fenster stand ein Arbeitstisch, der übersät war mit persönlichen Gegenständen, das meiste waren Schriftrollen, dazwischen verstreut lagen altertümliche Rollsiegel und einige Tontafeln, bedeckt mit merkwürdigen Zeichen. Es erinnerte Emanuel sehr an das Zimmer des Tempelritters de Monthelon.
Auf der gegenüberliegenden Seite war die Tafel aufgebaut. Der Duft von Rehbraten, gesotten in Rotwein, Zwiebeln und Äpfeln stieg ihnen in die Nase. Dazu wurden weißes Brot und ein dunkelroter Wein gereicht. Fürstlich, aber seltsam.
Sie speisten mit Genuss und plauderten über Nebensächliches. Emanuel hätte viele Fragen gehabt, aber er fand es unhöflich, den Abt damit zu überfallen. Er wartete darauf, dass Nathaniel von selbst auf einiges zu sprechen kam.
»Ich hoffe, bald nach Rom aufbrechen zu können, und würde mich über eure Begleitung sehr freuen«, meinte Nathaniel, als sich das Essen dem Ende zuneigte.
»Ein paar Tage Aufenthalt hier würden euch doch nicht beschweren? Ihr, Octavien, könntet noch so manches Bad nehmen, und Bruder Emanuel wird sicher unsere Bibliothek schätzen. Ich möchte euch auch gern einiges Sehenswerte in der Umgebung zeigen.«
»Ein paar Tage dürften keine Rolle spielen«, erwiderte Octavien höflich, obwohl er sich nicht vorstellen konnte, was es in der Umgebung Sehenswertes für ihn geben könnte. Emanuel hätte immerhin seine Bibliothek. Dieser hatte auch gleich einen zufriedenen Ausdruck im Gesicht. Er nahm noch einen Honigkuchen.
***
Die nächsten Tage vergingen für Emanuel wie im Fluge. Nathaniel hatte nicht übertrieben. Die Bibliothek des kleinen Klosters war überraschend umfangreich und enthielt auch Schriften, die Altenberg nicht besaß und die, soweit Emanuel wusste, den gewöhnlichen Mönchen verboten waren. Es musste Nathaniels Gelehrsamkeit zuzuschreiben sein, dass er diesen Schatz zusammengetragen hatte, doch weshalb hatte die Welt davon nichts erfahren?
Emanuel wusste, weshalb es gewöhnlich untersagt war, die nicht-christlichen
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