Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
Vater nicht so lange auf.« Sachte zog sie die Tür hinter sich zu.
Kelsey holte tief Atem und straffte sich. »Weiß sie Bescheid?«
»Ja. Ich mußte es ihr sagen, ehe wir heirateten.«
»Du mußtest es ihr sagen«, wiederholte Kelsey, »mir aber nicht.«
»Die Entscheidung ist mir nicht leichtgefallen. Keinem von uns ist sie leichtgefallen. Aber sowohl Naomi als auch deine Großmutter und ich wollten das Beste für dich. Du warst erst drei Jahre alt, Kelsey. Fast noch ein Baby.«
»Ich bin schon seit einiger Zeit erwachsen, Dad. Ich war inzwischen verheiratet und bin geschieden.«
»Du ahnst ja gar nicht, wie schnell die Zeit vergeht.« Philip setzte sich wieder und drehte das Glas in seiner Hand. Er hatte gehofft, daß dieser Augenblick niemals kommen würde. Sein Leben verlief in ruhigen Bahnen, und er wollte sich nicht wieder einem Wechselbad der Gefühle aussetzen. Doch er erinnerte sich gut, daß Naomi nicht viel für ein geregeltes Leben übriggehabt hatte.
Genausowenig wie Kelsey. Und nun war die Stunde der Wahrheit gekommen.
»Ich habe dir ja schon erzählt, daß deine Mutter zu meinen Studenten gehörte. Sie war jung, bildhübsch und sprühte vor Leben. Ich habe nie so richtig begriffen, was sie eigentlich an mir fand. Alles ging sehr schnell. Sechs Monate nachdem wir uns kennengelernt hatten, heirateten wir. Keiner von uns beiden konnte in dieser kurzen Zeit feststellen, wie grundverschieden wir waren. Wir lebten in Georgetown. Beide kamen wir, wie man so schön sagt, aus gutem Hause, aber in ihr brannte ein Freiheitsdrang, der mir fremd war. Eine Art ungebändigter Lebensgier, ein Hunger nach Menschen, Dingen, Orten. Und dann gab es da natürlich ihre Pferde.«
Um die schmerzliche Erinnerung zu lindern, trank er einen weiteren Schluck. »Ich glaube, es waren in erster Linie die Pferde, die zwischen uns standen, uns entfremdeten. Nach deiner Geburt wollte sie um jeden Preis zurück
auf die Farm in Virginia. Sie wollte, daß du dort aufwächst. Meine Wünsche und Hoffnungen für die Zukunft lagen hier. Ich schrieb damals an meiner Doktorarbeit und hatte bereits den Dekansposten der Englischen Fakultät im Auge. So schlossen wir einen Kompromiß, und ich fuhr eine Zeitlang jedes freie Wochenende nach Virginia, doch das war zuwenig. Man könnte sagen, wir lebten uns auseinander.«
Vorsichtig umschrieben, dachte er, und starrte in sein Glas, mit Sicherheit eine weniger schmerzhafte Formulierung. »Wir beschlossen, uns scheiden zu lassen. Sie wollte dich bei sich in Virginia haben. Ich aber fand, du gehörtest nach Georgetown, zu mir. Ich verstand weder die Leute, mit denen sie verkehrte, die Pferdenarren und die Jockeys, noch interessierten sie mich. Wir fochten einen erbitterten Kampf aus und schalteten schließlich Anwälte ein.«
»Ein Sorgerechtsprozeß?« Überrascht schaute Kelsey ihren Vater an. »Ihr habt um das Sorgerecht gestritten?«
»Eine häßliche Geschichte, viel schmutzige Wäsche wurde dabei gewaschen. Daß zwei Menschen, die sich einmal geliebt und ein Kind miteinander haben, zu Todfeinden werden können, spricht nicht gerade für den menschlichen Charakter.« Wieder schaute er hoch und blickte ihr schließlich voll ins Gesicht. »Nicht daß ich auf mein Handeln stolz bin, Kelsey, doch ich fühlte mit Bestimmtheit, daß du bei mir besser aufgehoben warst als bei ihr. Sie traf sich bereits mit anderen Männern, und man erzählte, daß einer von ihnen Verbindungen zum organisierten Verbrechen habe.. Eine Frau wie Naomi zog Männer unwiderstehlich an. Es kam mir so vor, als ob sie mit ihren Galanen angeben wollte, mit den Partys, mit ihrer Lebensweise, um mich und den Rest der Welt herauszufordern. Man sollte ruhig schlecht von ihr denken, sie tat jedenfalls, was sie wollte.«
»Du hast also gewonnen«, entgegnete Kelsey ruhig. »Du hast den Prozeß gewonnen, mich dazu, und dann hast du dich entschlossen, mir zu sagen, sie sei tot.« Wieder wandte sie sich ab und blickte in das dunkle Fenster,
in dem sie den Geist ihrer selbst erkennen konnte. »In den siebziger Jahren haben sich noch mehr Menschen scheiden lassen. Kinder sind damit fertig geworden. Es gibt so etwas sie Besuchsrecht. Man hätte mir erlauben müssen, sie zu sehen.«
»Sie wollte das nicht. Ich ebensowenig.«
»Warum? Weil sie mit einem ihrer Kerle durchgegangen ist?«
»Nein.»Philip setzte vorsichtig sein Glas auf einem dünnen Silbertablett ab. »Weil sie einen von ihnen umgebracht hat, und weil sie wegen
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