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Schatten über Sanssouci

Schatten über Sanssouci

Titel: Schatten über Sanssouci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O Buslau
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stellen Sie
fest, dass dieses Prinzip verletzt wurde. Darin besteht die Originalität. Die
ersten beiden Takte beginnen mit genau denselben beiden Noten, der letzte Takt
ist genau wie der erste, aber die fünf Takte dazwischen sind vollkommen anders,
wobei Takt fünf und sieben wieder die gleiche Anfangsfigur haben … Wie
gesagt, ziemlich gewagt das Ganze. Recht konstruiert.«
    »Könnte es sein«,
fragte La Mettrie, »dass es ein Produkt dieser Tabellen ist, die Sie
Kompositionsmaschine nennen?«
    »Nein, das glaube
ich nicht.«
    »Übrigens ein
interessanter Gedanke – eine Kompositionsmaschine. Das bringt mich darauf, dass
alle Schöpfung doch irgendwelchen Gesetzen und Mustern gehorchen muss. Diese
Muster sind in der Natur allenthalben vorhanden und aus ihr abzulesen. Es kommt
nur auf die Methode an. Sie muss sehr fein sein, diese Methode, und sie muss
sehr viele Dinge miteinander vergleichen können. Wenn das gelingt, wird man
eines Tages auf dieselbe Weise, mit der Sie dieses Muster mit den vier und acht
Takten erläuterten, auch zeigen können, warum sich bestimmte Organismen ähneln.
Warum das Skelett aller Tiere, die eine Wirbelsäule haben, ähnlich gebaut ist.
Und zu diesen Tieren gehört ja auch der Mensch …« La Mettries Augen begannen zu
leuchten. »Man müsste die Mikrostruktur der Materie erforschen, man müsste nach
Übereinstimmungen suchen. Ich bin sicher, man wird herausfinden, dass Menschen
und Tiere mehr miteinander gemeinsam haben, als man denkt.«
    »Sie haben viel
gemeinsam«, sagte Quantz, der La Mettries Gedanken für absurd hielt. Er fragte
sich, ob es eigentlich irgendetwas in der Welt gab, das La Mettrie nicht zu
ausufernden philosophischen Ideen inspirierte. »Denn sie wurden vom selben
Schöpfer erschaffen. Aber wir sollten bei unserer Aufgabe bleiben und nicht
abschweifen.«
    »Wenn ein Gott das
alles erschaffen hat«, sagte La Mettrie, der den Einwand überging, »dann würde
ich gern wissen, warum er so wenige Bauformen verwendet hat, um die Welt
auszugestalten. Warum er alles auf einheitlichen Prinzipien aufbaute. Ein
allmächtiger Gott hätte doch die Möglichkeit gehabt, ganz andere Prinzipien zu
erfinden als zum Beispiel die Kralle oder die Hand oder die Wurzel, um etwas
festzuhalten – und doch hat er Hühnern, Menschen und Bäumen genau dieses
Prinzip zur Verfügung gestellt und kein anderes. Warum hat er den Menschen den
Wunsch eingegeben, es den Vögeln gleichzutun und zu fliegen, ihnen aber nicht
die Möglichkeit dazu verliehen? Warum muss man, um fliegen zu können, Vögel
nachahmen? Warum haben alle Säugetiere Beine, auf denen sie gehen? Warum ähnelt
sich das alles? Könnte es nicht viele Welten geben, die nebeneinanderher
existieren und die ganz unterschiedlich sind? Was ist mit dem Phänomen der
Zeit? Wieso können wir sie nicht zurückdrehen? Oder voranbringen?«
    »Ich weiß es nicht«,
sagte Quantz, dem es angesichts der Geschwindigkeit, mit der La Mettrie seine
Anschauungen mit freier Assoziation in sehr abgelegene Dimensionen führte,
schwindelte.
    »Es gibt ein
Grundprinzip«, rief La Mettrie, der schon längst nicht mehr Quantz ansah, sondern
stirnrunzelnd vor sich hin stierte, als hätte er sich auferlegt, die von ihm
selbst aufgestellten Probleme in diesem Moment zu lösen. »Und dieses
Grundprinzip muss ich finden. Nicht nur der Mensch, die ganze Welt ist eine
Maschine. Dass ich darauf nicht gekommen bin! Sie muss eine Maschine sein, die
sich selbst gebaut hat und die selbst weiter eigene Unterabteilungen ihrer
selbst einbauen kann … Sie ist Maschine und Erbauer der Maschine zugleich …« Er legte die Hand an die Stirn. »Ob Gott auch eine Maschine ist?«
    »Diese Musik hat,
soviel ich in so kurzer Zeit erkennen kann, nichts mit der Kompositionsmaschine
zu tun«, sagte Quantz sehr bestimmt und hoffte, den Franzosen mit dieser klaren
Aussage endlich wieder zur Besinnung zu bringen. »Hören Sie mich? Es ist etwas
anderes.«
    La Mettrie suchte
Quantz’ Blick. »Wie bitte? Ach so, ja … Entschuldigen Sie. Aber was ist es
dann?«
    »Die
Kompositionsmaschine ist ein Werkzeug, mit dem man mehrstimmige Sätze schreiben
kann. Eigentlich ist sie auch keine Kompositions-, sondern eine
Kontrapunktmaschine. Dieses eigenartige Thema hier ist aber einstimmig. Der
Kontrapunkt, die Gegenstimme, fehlt. Und wir sollten uns fragen, was es mit den
Zetteln mit den Doppelnoten auf sich hat.« Er deutete auf die Reihe kleiner
Zettel, die in dem großen Notenblatt

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