Schatten über Sanssouci
kann, sodass
sich das erwähnte Unrecht auch aus Fehlern desjenigen speiste, der eigentlich
der erste Diener des Staates sein sollte. Denn dieser ist nicht nur ein König.«
Hierbei traf Friedrichs Blick auf La Mettrie, der wissend in sich
hineinlächelte. »Er ist auch ein Mensch.« Friedrich unterbrach sich kurz, als
wolle er dieser Aussage besonderes Gewicht verleihen. »Wie glücklich kann ein
Herrscher sein«, fuhr er fort, »der Berater um sich hat, die ihm den Weg zu
solchen Erkenntnissen weisen. Ich habe Sie nun zu dieser Musik geladen, um
Ihnen zu bezeugen, dass Herr Quantz der am höchsten geachtete Musiker an meinem
Hofe ist – und immer bleiben wird. Solange ich lebe. Solange er lebt. Wenn ich
seine Musik spiele, dann – das gebe ich gern zu – mache ich mich ihm, meinem
Wegweiser in das Reich der Töne, gern untertan.«
Quantz spürte
brennende Wärme auf seinen Wangen, und mit einem Mal war ihm federleicht ums
Herz. Er verbeugte sich, und die Gesellschaft brach in verhaltenen Beifall aus.
»Ich hoffe«, ergriff
Friedrich wieder das Wort, »dass auch meine musikalische Schwester an diesem
Konzert ihre Freude haben wird – obwohl sie sich, wie ich gehört habe, in ihren
eigenen Bestrebungen auf dem Gebiet der Tonkunst auf das Terrain eines viel strengeren
Kompositionsstils begeben hat.« Amalia schwieg, nickte ihrem Bruder jedoch
ermunternd zu.
Der König drehte
sich zu den Musikern. »Sind Sie bereit, meine Herren?« Quantz nahm seinen
gewohnten Platz ein. Graun hob die Violine an, um den Einsatz zu geben.
In dem folgenden
kurzen Moment der erwartungsvollen Stille nahm Quantz alles um sich herum in
höchster Intensität auf. Es war, als hätte ihm das Bewusstsein der einsetzenden
Musik die Fähigkeit verliehen, die Zeit zu verlangsamen. Er betrachtete die
Gesichter der Gäste, die auf Seine Majestät gerichtet waren. Jetzt, wo der
König ihnen nicht mehr direkt zugewandt war, zeigte ihr Mienenspiel ihre wahren
Gedanken: Skepsis war auf dem Gesicht der Prinzessin zu lesen – zu erkennen an
den hochgezogenen Augenbrauen. La Mettrie rümpfte spöttisch die Nase.
Wahrscheinlich ging ihm gerade eine aufblitzende Erkenntnis durch den Kopf. Nur
Algarotti und d’Argens schienen von ungetrübtem Wohlwollen erfüllt zu sein.
Da hob La Mettrie
den Kopf ein wenig und blickte an die Decke – genau an den Punkt, wo über dem
wartenden Monarchen das gewaltige goldene Spinnennetz entsprang. Dann sah er
Quantz an und nickte ihm zu. Der Kammermusiker glaubte, den Franzosen
verstanden zu haben, und gab die Geste zurück.
Im selben Moment
verschwand die gespannte Stille.
Denn die Musik begann.
Historisch verbürgte Personen in der Reihenfolge ihres Auftretens
Friedrich II., König von Preußen, genannt »der Große« (1712–1786)
Friedrich II.
begann noch im Jahr seiner Thronbesteigung 1740 in einem für die damalige Zeit
ungewöhnlichen Wintereinmarsch den Krieg um Schlesien, der 1745 beendet war. Im
selben Jahr begann der Bau der Sommerresidenz, die heute unter dem Namen
»Sanssouci« bekannt ist und die Friedrich im Mai 1747 offiziell bezog.
Gleichzeitig nahm der König die Erneuerung der Potsdamer Innenstadt in Angriff
und ließ nach und nach die alten Fachwerkgebäude durch die heute noch das
Stadtbild prägenden Häuser ersetzen.
Teil von Friedrichs
Tagesablauf war das tägliche, private Kammerkonzert am frühen Abend, zu dem vor
allem der König und sein Kammermusikus Johann Joachim Quantz Kompositionen
beisteuerten. Quantz war als Flötenlehrer und Kammermusiker des Königs stets
anwesend. Eines der berühmtesten Bilder einer solchen Veranstaltung malte
Adolph von Menzel zwischen 1850 und 1852 – also hundert Jahre nach den
Ereignissen dieses Romans. Auf diesem Gemälde mit dem Titel »Das Flötenkonzert
Friedrichs des Großen in Sanssouci« sind außer dem König selbst, den Musikern
einschließlich Quantz auch Personen des Hofstaates zu sehen, die Friedrichs
Darbietung lauschen. Die Historiker sind sich darin einig, dass die
dargestellte Situation nicht der Realität entspricht, denn der König pflegte in
Sanssouci nicht vor Publikum zu musizieren, sondern frönte seiner Liebhaberei
allein mit seinen Hofmusikern. Die Friedenszeit endete 1756, als der
Siebenjährige Krieg gegen Habsburg und dessen Verbündete begann.
Berühmt geworden
sind ebenfalls Friedrichs abendliche kulinarische Tafelrunden, zu denen er
große Geister der Zeit nach Sanssouci einlud – unter anderem ab 1748
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