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Schatten über Sanssouci

Schatten über Sanssouci

Titel: Schatten über Sanssouci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O Buslau
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geschlagen und nackt an die
Mauern gekettet. Die Arme standen im rechten Winkel vom Körper ab, seine Beine
waren leicht gespreizt. Ihm war fürchterlich kalt, und irgendwo klatschten
Tropfen in eine Pfütze.
    Als er das leise
Tapsen von Pfoten vernahm, legte er den Kopf auf die Seite und kniff die Augen
zusammen. Er wollte wissen, was sich da näherte, aber die Dunkelheit war undurchdringlich.
Er konnte nichts erkennen. Einen Moment war alles still, dann berührte etwas
Pelziges seine Ferse, wahrscheinlich eine Ratte.
    »Verschwinde«,
sagte er. »Hau bloß ab!« Er versuchte auszutreten, aber die Eisenringe bohrten
sich nur noch tiefer in sein Fleisch.
    Da quietschte über
ihm eine Türangel.
    Er hob den Kopf und
lauschte in die Dunkelheit. Gleichzeitig wippte er mit den Füßen auf und ab, um
das Tier zu verscheuchen. Es sollte nicht glauben, dass er wehrlos war. Zuerst
hörte er nur seinen eigenen Atem, aber dann … Ja, jemand stieg eine Treppe
hinab. Holzstufen knarrten unter dem Gewicht. Kamen sie, um mit ihm
abzurechnen?
    »Verdammt!«, rief
er. »Ich will hier raus, ich will nicht sterben!«
    Plötzlich waren
die Schritte nicht mehr zu hören. Dann wurde ein Schlüssel in ein Schloss
gesteckt und unter lautem Knarzen gedreht. Eine schwere Tür wurde aufgestemmt,
und ein französischer Soldat trat ein. In seiner Hand trug er eine Fackel, die
er in eine Wandhalterung steckte.
    Die Flamme
blendete ihn, aber endlich konnte er seine Umgebung erkennen. Die Mauern
bestanden aus schwarzen Bruchsteinen, an denen glänzende Rinnsale
hinunterliefen. Runde Säulen stützten die Decke ab. Überall standen marode
Fässer, verrostete Ackergeräte und Obstkisten herum. Dazwischen spannten sich
Spinnennetze, die so groß wie Segel waren. Das Gewölbe war offenbar seit Jahren
nicht genutzt worden. Hier würden ihn seine Kameraden niemals finden.
    Der französische
Soldat griff nach einem Schemel und setzte sich. Obwohl er noch jung war,
vielleicht Anfang zwanzig, lichtete sich sein Haar bereits. Auf seiner linken
Wange klaffte ein Schnitt – wie von einem Bajonett –, der glasiges Wundsekret
absonderte. Sein Hemd war bis zum Nabel aufgeknöpft und hing aus der Feldhose.
»Wenn du meine Fragen beantwortest«, sagte er, »werde ich dir nichts tun. Ich heiße Marcel.«
    Er sprach gut
Deutsch, wahrscheinlich hatte Marcel eine höhere Schulbildung genossen.
Vielleicht war er ein zivilisierter Mensch, mit dem man reden konnte. Aber
warum hatte er das »ich« so betont? Wartete oben jemand anderes, der ihm etwas
antun wollte? In seiner Lage wäre er ihm hilflos ausgeliefert. »Nimm mir bitte
die Ketten ab!«, sagte er. »Die Eisenringe schmerzen, sie schneiden mir ins
Fleisch.«
    Unmerklich
schüttelte Marcel den Kopf. »Bei welcher Einheit dienst du?«
    »Was?«
    Marcel zog einen
Dolch. »Bei welcher Einheit dienst du?«
    Er verstand die
Drohung, aber vielleicht war das Verhör die einzige Chance, um hier lebend
herauszukommen. »Lässt du mich gehen, wenn ich antworte?«
    »Los jetzt, du
verdammtes Schwein! Noch mal frag ich nicht.«
    »Ist ja gut«,
stieß er hervor. »Ich diene beim vierten Königlich Preußischen Garderegiment zu
Fuß, erstes Bataillon, dritte Kompanie.«
    »Wie heißen deine
Führer?«
    »Ich versteh
nicht, warum … Mein Kompanieführer ist Secondeleutnant von Hellermann, sein
Stellvertreter Secondeleutnant der Landwehr Ramslau. Mein Bataillonskommandeur
ist Major von Sichart. Oberst von Neumann wurde bei Saint-Privat-la-Montagne
verwundet, deshalb haben wir einen neuen Regimentsführer – Major von Tietzen
und Hennig.«
    »Hast du auch bei
Saint-Privat gekämpft?«
    Natürlich hatte er
gekämpft. An der Erstürmung mehrerer Häuser und Straßenzüge war er beteiligt
gewesen, aber er spürte instinktiv, dass die Frage gefährlich war. »Keinen
Schuss hab ich abgefeuert«, log er. »Unsere Kompanie lag in Reservestellung.
Bei starken Verlusten sollten wir die Linie auffüllen, aber wir sind nicht zum
Einsatz gekommen.«
    »Ich hab
gekämpft«, sagte Marcel. »Mein Bruder auch, aber –«
    »Marcel! Der Krieg
zwischen Deutschland und Frankreich war nicht meine Idee. Wenn's nach mir
ginge, wären wir nie hergekommen. Ich will dieses Gemetzel nicht, ich bin ein
Menschenfreund, das musst du mir glauben.« Er leckte sich die spröden Lippen.
    Da quietschte die
Türangel erneut.
    Er hob den Kopf
und lauschte angestrengt. Die Stufen knarrten, aber nicht so laut wie beim
ersten Mal. Das konnte nur bedeuten, dass

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