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Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter

Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter

Titel: Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Melling
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Fenster auf zum Lüften.
    Immer noch knallt es draußen, Böller krachen, und Raketen erhellen wie bunte Gewitterblitze sekundenlang die Nacht vor dem Fenster. Als ich mich hinauslehne, kann ich ein blaues Auto sehen, das sich vorsichtig über den Asphalt schiebt, Slalom um die vergessenen Flaschen fährt, aus denen andere ihre Raketen in den Himmel geschossen haben. Ein Mann wirft schwankend und lachend einen Böller hinter dem Wagen auf die Fahrbahn. Das mächtige Knallen springt zwischen den Hauswänden hin und her wie ein Tier auf der Flucht. Das Fest ist noch nicht für alle vorbei.
    Ich liebe die Hoffnung auf ein neues – besseres – Jahr, wenn die Glocken von überall her um Mitternacht den Jahreswechsel einläuten. Doch ich hasse die schmierige, schmutzige Seite an Silvester. Ich hasse die Betrunkenen, die auf die Straße kotzen. Ich hasse die leeren, zertretenen Papphülsen der Leuchtkugeln, die Raketenstäbe, die roten, durchweichten Papierfetzen auf den Bürgersteigen.
    Ich schließe das Fenster. Gieße Orangenblütenschaumbad ins einlaufende Wasser, viel zu viel, nur um die Tropfen zu übertönen, die aus der grünen Flasche gefallen sind. Mein Badewasser dampft auf die kalte Fensterscheibe und beschlägt den Spiegel.
    Als der Schaum beginnt, über den Wannenrand zu quellen, drehe ich das Wasser ab, steige aus meinen Waldklamotten und gleite langsam, um mich nicht zu verbrennen, ins Wasser.
    Mein vor Kälte steifer Körper schreit trotzdem. Zu heiß! Es fühlt sich an, als sei ich überall wund. Dann entspanne ich mich, und die Kälte des Waldes entweicht aus mir wie giftiger Dampf. Die Schrecken der Nacht werden vom Schaum abgewaschen. Zurück bleibe nur ich. Meine Arme, meine Beine, mein Bauch.
    Als meine Finger und Zehen längst schrumpelig sind, steige ich aus dem Wasser und trockne mich ab. Neujahr. Der neue Tag hat schon vor Stunden begonnen. Vor den Fenstern hängt nachtschwarzer Wintermorgen. Ich gehe schlafen.
    Meine Mutter ist noch nicht zurück. Ich schiebe das Handy unters Kopfkissen und wickle mich in die Decke. Vom Bett aus kann ich das Fenster sehen, heute lasse ich die Vorhänge offen. Ich sehe hinaus und schicke dem Mond, der schon fast rund am grauen Stadthimmel hängt, einen Gruß an Thursen. Mein Thursen, der jetzt bei mir sein sollte. Vielleicht sieht er dort, wo er jetzt ist, auch gerade den Mond an. Ich fühle, wie meine Gedanken matter werden und ich in den Schlaf sacke.
    Herzhämmern. Träume von einem gesichtslosen Jungen verfolgen mich. Wölfe hetzen ihn durch den Wald. Ich fühle seine Todesangst durch meine Adern jagen. Der erste Wolf, Norrock, riesig und schwarz, zeigt die Zähne. Der Junge bricht durch den Zaun, flüchtet ins Fichtendickicht. Doch dort sitzt er in der Falle. Das Rudel wird ihn töten, gnadenlos. Der Junge sieht mich an. Sein Gesicht verschwimmt, wird wieder deutlicher. Wird zu dem Toten im Wald, zu Edgar, meinem übereifrigen Klassenkameraden, zu Thursens Schwester Agnetha, zu der Frau, die uns die Pizza bringt. Er schreit in Todesangst mit tausend Mündern in tausend Gesichtern, die alle ineinanderfließen. Ich träume von Blutseen, die den Waldboden tränken. Atemlos erwache ich. Mein Herz rast, als sei ich selbst geflohen. Die Angst bebt nach.
    Die Anrufmelodie des Handys. Das ist es, was mich aus dem Traum gerissen hat. Die bleiche Wintersonne scheint in mein Zimmer. Es muss schon mindestens Mittag sein. Mein Bett riecht nach verschwitzten Ängsten. Das Bettzeug hat sich um meine Arme und Beine geschlungen wie böses, nasses Papier. Ich brauche eine Sekunde, bis ich so klar bin, dass ich das vibrierende, tönende Handy unter meinem Kopfkissen hervorziehe. «Ja?», frage ich und muss den Schlaf aus meiner Stimme räuspern, damit man mich versteht.
    «Ich bin’s.» Thursens immer raue Stimme fühlt sich an wie sanftes Streicheln. «Ich wollte dir nur sagen, dass ich auf der Polizeistation war. Ich habe dich rausgehalten, sie wissen nicht, dass du auch im Wald warst.»
    Ich schlucke noch einmal, dann ist meine Stimme wieder klar. «Thursen, warum? Es ist doch nicht verboten, Silvester im Wald zu feiern!»
    «Luisa, wann hast du das letzte Mal gelogen, richtig gelogen, meine ich?»
    Ich seufze und lasse mich zurück in mein Bett fallen. «Als ich gesagt habe, es macht mir nichts aus, dass wir letzte Nacht nicht zu dir gegangen sind.»
    Er lacht leise. «Das zählt nicht. Ich kenne dich viel zu gut, um auf so was reinzufallen. Aber es ist doch so: Wenn es

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