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Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter

Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter

Titel: Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Melling
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rumläuft!»
    Meine Mutter weist mit der Zigarette auf den Fernseher, in dem inzwischen ein Mann seinen Bart supersanft rasiert. «Sie bringen das bestimmt gleich noch mal. In der Küche ist noch ein Berliner, wenn du magst.»
    «Pfannkuchen heißen die hier. Nein danke. Bestimmt nicht!»
    Ich bleibe hinter dem leeren Sessel stehen, als der Sprecher mit seinem Bericht beginnt. Hinter ihm ist ein Bild vom Tegeler Forst eingeblendet. Dann teilt er in freundlich gelangweiltem Ton mit, dass die Polizei dort, genau dort, wo wir waren, eine Leiche gefunden hat. Das muss unser Toter sein. Unwillkürlich halte ich mich an der Sessellehne fest.
    Meine Mutter sieht es nicht, ihr Blick hängt am Bildschirm. «Eingeschlagener Schädel und Fraßspuren von Tieren, oh, mein Gott!», murmelt sie und drückt mit fahrigen Händen die Zigarette im Aschenbecher aus. «Ein Glück, dass du heil zu Hause bist. Ein Glück, dass du das nicht sehen musstest!»
    Doch ich habe die Leiche gesehen, und jetzt sehe ich sie wieder vor mir. Die ausgefranste Bisswunde am Hals, das Gesicht voller Flecken, das aussah, als wäre es nur aus bemaltem Plastik und hätte niemals zu einem Menschen gehört. Die Narbe, die mich so an die meines Bruders erinnert hat. Und mit dem Grauen kommt die Wut auf die Mörder zurück. Mörder, die ungestraft töten können, denn sie hinterlassen keine menschlichen Spuren. Niemand wird sie jemals finden. Und Thursen und ich, wir schützen sie auch noch, indem wir den Mund halten. Doch etwas passt nicht! Erst jetzt dringt es zu mir durch. Die Polizei sucht nach einem menschlichen Mörder, denn der Mann im Wald wurde nicht von Wölfen zerfetzt, sondern erschlagen. Von einem Menschen.
    Der Kopf des Toten, den Thursen gefunden hat, war nicht eingeschlagen. Ich erinnere mich genau an die zerzausten Haare am Hinterkopf, die ich gesehen habe, bevor Thursen die Leiche umdrehte.
    Zwei Leichen am selben Ort? Unwahrscheinlich! Hat jemand dem Toten den Schädel zertrümmert, bevor die Polizei eintraf? Aber wer? Das kann nicht sein! Ich muss mit Thursen sprechen!
    «Ich muss weg», sage ich.
    Meine Mutter stellt den Fernseher aus und dreht sich zu mir. «Wohin gehst du?»
    «Zu meinem Freund.»
    «Diesem Lars?»
    «Ja.»
    Sie steht auf und rückt ihren Bademantelgürtel gerade. «Wann bist du wieder da?»
    «Keine Ahnung!», rufe ich vom Flur, als ich schon in meine Stiefel schlüpfe, meine Jacke greife.
    «Luisa, das geht so nicht. Du kannst nicht einfach gehen und kommen, wie es dir passt –»
    «Ich habe einen Schlüssel!», unterbreche ich sie. Ziehe die Wohnungstür hinter mir zu und laufe die Treppe hinunter. Vor unserm Haus kriecht ein riesiger orangefarbener Wagen entlang, bürstet mit ohrenbetäubendem Rauschen die letzten Silvesterreste vom Asphalt. Am Himmel hängen die grauen Wolken so tief, als würden sie gleich herabfallen. Ich schlage meine Kapuze hoch. Die klebrig-feuchte Kälte legt sich auf meine Wangen, kriecht in meine Ärmelöffnungen.

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    4. Elias
    Nach meinem Vortrag schlossen sich die schalldichten Türen zum Saal hinter mir. Ich durfte nichts erklären, relativieren, erläutern. Nachfragen sind im Protokoll auch heute, nach Tausenden von Jahren, nicht vorgesehen. Der oberste Rat beriet sich allein in seiner Weisheit. Wahrscheinlich nicht nur hier in Berlin, sondern überall rund um den Erdball. Solch eine Sache wollten die Berliner Räte sicher nicht allein entscheiden. Per Videokonferenz wurden Shinanim aus anderen Städten zugeschaltet, meine Rede übersetzt und ihnen zugemailt. Alles was gesagt wurde, blieb geheim, selbstverständlich. Streng geheim. Wie immer, wenn es um Dinge geht, die neu sind und zu denen es noch keine offizielle Meinung gibt. Aber ich wette, dass sich trotz der abhörsicheren Leitungen die Nachricht in Windeseile ausgebreitet hat, wie Ringe im Wasser, wenn man einen Kiesel hineinwirft. Überall wird man in diesem Augenblick darüber sprechen, dass in Nordeuropa, in Berlin, ein junger Shinan, noch am Beginn seiner Macht, viel zu schnell aufgestiegen, etwas Unerhörtes fordert. Machtvolle Einmischung in das Leben der Menschen. Nicht nur beobachten, was geschieht, vorsichtig intervenieren, sondern eingreifen. Ganz offiziell.
    Und so sitze ich jetzt in meiner Studentenwohnung, offiziell bin ich schließlich Student, und warte auf ihre Entscheidung. Ich weiß noch nicht einmal, ob ich angerufen werde oder ob mir jemand eine schriftliche Nachricht überbringen wird.

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