Schattenblume
Boden aus.
«Was machen Sie da?»
«Wir geben ihm eine Chance», sagte Smith und knöpfte Jeffrey die Manschetten auf.
«Lassen Sie mich das machen», widersprach Sara, doch Smith winkte ab.
Sara fragte: «Warum tun Sie das?»
«Warum nicht?» Er zuckte die Achseln und rollte Jeffrey den Ärmel hoch. «Hab sonst nichts zu tun.» Dabei warf er Lena über die Schulter einen Blick zu. Sie wusste immer noch nicht, ob er vor ihr angeben wollte oder einfach gerne Spielchen spielte.
«Sie sollten die Kanüle …» Doch Smith brachte Sara mit einem warnenden Blick zum Schweigen.
Lena sah zu, wie er Jeffrey den Gummischlauch um den Oberarm schlang. Er war nicht gerade ein Experte, doch zumindest schaffte er es beim dritten Versuch, mit der Nadel die Vene zu treffen.
Smith lachte über seine Fehlversuche. «Gut, dass er bewusstlos ist.»
«Sie scheinen zu wissen, wie man das macht», sagte Sara. «Wie oft brauchen Sie Infusionen?»
Er blickte sie an, und Lena sah erst den Schreck in seinen kristallblauen Augen, dann wirkte er plötzlich geradezu erfreut. Sara und er starrten einander sekundenlang an, dann lachte Smith.
«Du hast ganz schön lange gebraucht.»
«Sie haben es falsch verstanden», sagte Sara, und Lena wünschte, sie wüsste, wovon zum Henker Sara sprach. «Sie haben alles völlig falsch verstanden.»
«Vielleicht», sagte er und warf seinem Komplizen einen Blick zu. Der andere stand am Fenster und sah hinaus, als ob ihn das alles nichts anginge. Und doch wusste Lena, dass er sie beobachtete. Sonny, oder wie er hieß, hatte Augen im Hinterkopf.
Smith legte die Infusion, dann rief er Lena zu: «Haltdas.» Er gab ihr den Infusionsbeutel. «Mach dich nützlich.»
Lena setzte sich mit dem Rücken zur Wand. Sie legte eine Hand hinter den Rücken, mit der anderen hielt sie den Beutel hoch. Smith stand weniger als dreißig Zentimeter von ihr entfernt, und doch hatte Lena keine Ahnung, was sie tun sollte.
Smith öffnete den Arztkoffer. «Sag mir, was du brauchst.»
Sara sagte: «Ich kann das nicht.»
«Lady», sagte Smith. «Du hast keine Wahl.»
Sie setzte sich zurück und schüttelte den Kopf. «Ich kann nicht.»
«Für jede Minute, die du dich weigerst, erschieße ich ein Kind», sagte er. Als sie nicht reagierte, nahm er die Pistole aus seinem Gürtel, hielt sie hoch und richtete die Mündung auf eins der Mädchen.
Brad stellte sich ihm in den Weg, doch Smith sagte nur: «Dich erschieß ich auch.»
«Und dann?», fragte Sara. «Wenn Sie alle erschossen haben und nur ich noch übrig bin?»
Er nickte in Lenas Richtung, ohne sie anzusehen. «Mir fallen noch ein paar Sachen ein, die ich tun könnte», sagte er. «Was hältst du davon, Frau Doktor? Willst du zugucken?»
«Das würden Sie nicht tun!», sagte Sara, obwohl sie genau wusste, dass er es täte.
Er fragte sie: «Meinst du, so was liegt in der Familie?»
Sara sah zu Boden, ihr Gesicht färbte sich dunkelrot.
Lena konnte sich nicht mehr beherrschen. «Wovon redet ihr überhaupt?»
«Du weißt es nicht?», gab Smith zurück. «Natürlichnicht. Er wird nicht jedem verraten haben, dass er ein Vergewaltiger ist.»
«Wer?», fragte Lena, während Sara im gleichen Moment sagte: «Nein.»
«Das gefällt dir nicht, was?», fragte Smith. Er zielte immer noch in Brads Richtung. «Und du, Skippy? Wie gefällt dir das?»
Brad schüttelte den Kopf. «Das ist nicht wahr.»
«Was ist nicht wahr?», fragte Lena.
Smith wandte sich an Sara. «Sag’s ihnen, Doc. Sag ihnen, warum wir alle hier sind.»
«Nein», beharrte Sara. «Sie haben alles ganz falsch verstanden.»
Smith verzog die Lippen zu einem schrecklichen Grinsen, als er zu Lena sagte: «Dein Boss, der große Chief Tolliver, der mit weggeschossener Birne da draußen liegt? Er hat meine Mutter vergewaltigt, und ich bin derjenige, der dafür bezahlen musste.»
KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG
Dienstag
S ara erwachte aus einem tiefen Schlaf. Diesmal hatten sie keine Träume geängstigt. Sie lag in Jareds kleinem Bett und blickte zu einem lebensgroßen Gummiadler, dem Maskottchen des Auburn College, empor, der an einem Draht über ihr an der Decke hing. Wie der Junge schlafen konnte mit diesem Vieh über der Nase, das aussah, als würde es sich jeden Moment auf einen stürzen, war ihr ein Rätsel. Doch kleine Jungs waren seltsame Geschöpfe, das belegte auch der glupschäugige Leguan, der sie aus seinem Glaskäfig hungrig anstarrte.
Sie setzte sich auf und rieb sich den Schlaf aus den Augen.
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