Schattenelf - 3 - Der Herr der Flammen
jungen Mann noch immer allein mit einem Blick in die Schranken weisen. Das, sowie der Umstand, dass er Merwan Ma aufrichtig mochte, waren die einzigen Gründe, weshalb Yakim ihn überhaupt behielt. Normalerweise würde man erwarten, Intelligenz sei bei einem Leibdiener eine hoch geschätzte Eigenschaft, Yakim Douan dagegen scheute für gewöhnlich keine Mühe, um dieser speziellen Begabung aus dem Weg zu gehen. Die Sicherheit des Chezru-Häuptlings ließ sich weit besser gewährleisten, wenn die Menschen in seiner unmittelbaren Umgebung geistig eher minderbemittelt waren. Zu Yakims Pech war ihm Merwan Mas Intelligenz erst aufgefallen, als er sich bereits zu dem jungen Mann hingezogen fühlte, der zu Beginn seiner Dienstzeit gerade mal sechzehn gewesen war. Trotzdem hatte er ihn weiter beschäftigt, nachdem er seine Intelligenz und natürliche Neugier erkannt hatte, und jetzt, da der Tag seines Ablebens nahte, war er sogar froh darüber. Merwan Ma war aufgeweckt und wissbegierig, aber er war auch loyal und fromm, und seine Verehrung für den Gott Yatol war stark genug, um die Priesterwürde zu erlangen. Wenn Merwan Ma Yakim als »Stimme Gottes« bezeichnete, dann entsprach der Titel seiner aufrichtigen Überzeugung und war durchaus wörtlich zu verstehen.
»Tretet ein«, forderte der Chezru-Häuptling den Diener auf.
Merwan Ma kam hinter der Tür hervor und nahm Haltung an. Er war groß, weit über sechs Fuß, und schlank wie die meisten Einwohner Behrens, wo es stets heiß war und überflüssige Pfunde oder Fettpolster eher hinderlich waren. Erlangte er die Priesterwürde, wurde Yakim in diesem Augenblick bewusst, würde er noch größer wirken, denn dann würde er sich, wie bei den Yatols Sitte, eine hohe Frisur wachsen lassen.
Als ihm einfiel, dass sein Diener gar kein Yatol-Priester war, wäre Yakim um ein Haar ein weiterer amüsierter Lacher herausgerutscht. Jahrhundertelang war der Chezru-Häuptling ausschließlich von Yatol-Priestern bedient worden; jahrhundertelang war es niemandem außer Yatol-Priestern gestattet gewesen, auch nur das Wort an die Stimme Gottes zu richten. Das hatte Yakim Douan vor fast vierhundert Jahren – nach einer Umwandlung, die beinahe in einer Katastrophe geendet hätte – jedoch geändert, nachdem mehrere der ihm dienenden Yatols mit dem Argument, die neue Stimme Gottes sei unauffindbar, beschlossen hatten, selbst den höchsten Titel bei den Chezru anzustreben; und das, obwohl ihnen ein Zweijähriger zur Verfügung stand, der das gesamte Gesetzeswerk des Propheten aufsagen konnte.
Damals hatte Yakim Douan seine Herrschaft allein aufgrund einer glücklichen Fügung fortsetzen können. Nach seiner offiziellen Bewusstwerdung im zarten Alter von zehn Jahren hatte er daher in einem seiner ersten Erlasse verfügt, die gesellschaftliche Struktur in Chom Deiru, dem Chezru-Palast, zu ändern, alle, deren Macht der des Chezru-Häuptlings am nächsten kam, aus seiner Umgebung zu entfernen und so das religiöse Ritual in Zeiten der Transzendenz von allem persönlichen Ehrgeiz zu säubern.
»Ist der Saal der Morgensonne für das Frühstück vorbereitet?«, fragte Yakim.
»Ja, Stimme Gottes.« Merwan Ma war sorgfältig darauf bedacht, den Blick beim Sprechen gesenkt zu halten. »Aber da Ihr heute recht spät aufgestanden seid, wird sich das Zimmer bereits unangenehm aufgeheizt haben, fürchte ich.«
»Tja … in diesem Fall werde ich mir mein Essen hier servieren lassen.«
»Sehr wohl, Stimme Gottes.« Merwan Ma machte eine knappe Verbeugung und wandte sich zum Gehen, doch Yakim rief ihn zurück.
»Lasst außerdem eine zweite Mahlzeit heraufbringen. Ich denke, Ihr werdet heute Morgen mit mir speisen. Es gibt da ein paar Dinge, die wir besprechen sollten.«
»Sehr wohl, Stimme Gottes.«
Während Merwan Ma sich eilig entfernte, quittierte Yakim Douan das leichte Beben in seiner Stimme bei der letzten Erwiderung mit einem wissenden Nicken. Merwan Ma hatte seine Gesellschaft stets genossen; zwischen den beiden hatte sich so etwas wie Freundschaft, ein Schüler-Lehrer-Verhältnis entwickelt – jetzt aber wusste Merwan Ma, weshalb er eingeladen worden war. Yakim wollte mit ihm noch einmal die Prozedur der Transzendenz durchsprechen, den bevorstehenden Tod des Chezru-Häuptlings sowie die Pflichten, die Merwan Ma in der Zeit danach, der Phase der Kopflosigkeit, wie sie genannt wurde, zu erledigen hatte. Es war ein Zeitraum, in dem die yatolische Kirche offiziell als führungslos galt, die
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