Schattenengel (Contoli-Heinzgen-Krimi)
hindurch.
„ Versteh ich nicht«, murmelte Hauff. „Ich sehe sie nicht. Sie sollten aber hier sein.«
Anke starrte ihn fassungslos an. „Koll! Er muss hier irgendwo sein.«
Hauff nickte nur.
„ Wahrscheinlich weiß die Alte nicht, was sie tut. Oder sie ist jetzt komplett übergeschnappt«, raunte Anke. Mut der Verzweiflung oder Mut einer Wahnsinnigen. „Die könnte gefährlich werden in ihrem Geisteszustand. Wir müssen sie unbedingt stoppen.»
Sie spürte Hauffs Seitenblick .„ Wir? Du hältst dich hier raus, hast du verstanden.«
„ Waffen und Funkgeräte fallen lassen! Sofort!«, rief unvermittelt eine kräftige Männerstimme.
Wo hatte sich der Kerl versteckt? Nichts passierte. Hauffs noch vorhandene Männer schienen nicht daran zu denken, dieser Aufforderung nachzukommen. Anke ließ ihre Augen kreisen. Und nun erblickte sie auch abseits des Hauses nahe der Einfahrt die schwarze Limousine. Sie fragte sich, wo Hauffs abgestellte Männer steckten? Neben ihr schnaufte Hauff so hörbar aus, dass sie dachte, er würde gleich die Kontenance verlieren, aber Hauff war ein besonnener Polizist.
„ Wird‘s bald!«, brüllte Fabio Koll erneut und ging schrittweise auf seine Mutter zu. Er weiß genau, wie unberechenbar sie in ihrem Wahn sein kann.
„ Komm, Mutter, gib mir die Flinte«, sprach er sie bedächtig an, wobei er seine freie Hand nach ihr ausstreckte. Aber währenddessen nahm er seine Augen und seine Waffe nicht von seinen Gegnern.
Augenscheinlich war der alten Dame nicht bewusst, wen sie vor sich hatte.
„ Fort mit dir!«, zeterte seine Mutter mit desorientiert dreinblickenden Augen, zog die Waffe hoch, schoss in die Luft und starrte darauf hin für Sekunden erstaunt in den Nachthimmel dem Schall hinterher.
Das wäre der Zeitpunkt gewesen, sie anzugreifen, doch Anke fasste stattdessen vor Verblüffung nach Hauffs Arm. Seine rechte Hand, die auf seiner Dienstwaffe im Gürtel lag, zuckte einige Male. Aber es war zu spät. Hauff beherrschte sich, denn Mutter Koll hielt die Waffe bereits erneut gezielt auf sie gerichtet. Im Gegensatz zu vorher im Haus behielt Fabio die Nerven. Sicher, dachte Anke, muss auch er sich wie die anderen Anwesenden erschrocken haben, doch er war vor dem Schuss seiner Mutter nicht einen Schritt zurückgewichen. Als wäre er Derartiges von ihr gewohnt. Anke hielt den Atem an. Maria Koll hatte sich jetzt zu ihrem Sohn gedreht und zielte nun auf ihn.
Sie wirkt wie eine unsagbar traurige, groteske Gestalt einer verlorenen Welt. Werden sie beide aufeinander schießen?
Mit der plötzlichen Windböe, die über den Eingangsbereich fegte, begann es zu tröpfeln. Ein unruhiges Wetter schien sich Auf Kirres zusammenzubrauen. Der stetig wachsende Wind schob Sturm- und Regenwolken vor den Mond. Immer nur kurz blitzte er auf und verschwand sofort wieder.
Sturm, stürmen ... ihn ablenken.
„Was willst du tun?«, flüsterte Anke Hauff zu.
„ Abwarten.«
„ Er schießt niemals auf seine Mutter.«
„ Aber sie womöglich auf ihn!«
Fabio und seine Mutter standen sich regungslos gegenüber wie zu einem Duell, bei dem keiner wagte, anzufangen. Und selbst bei dem einsetzenden Schreien der Tochter Laura nach ihrer Mutter bewegte sich keiner der beiden. Wo soll das hinführen? Anke war sicher, dass Maria Koll einfach nur verwirrt auf die Einflüsse reagierte, die auf sie noch immer einströmten und niemals den Durchblick hatte. Andererseits sollte Fabio wissen, was er tat.
„ Mutter!!«, schlug Laura jetzt Alarm, „gib Fabio das Gewehr! Er wird dich sonst töten!«
Ob die alte Dame den Sinn der Worte in ihrer Verwirrtheit begreift?
In der extremen Spannung schien der Wind einige Zeit seine Kraft zu verlieren, als würde er abwartend verharren. Mit einer Halsstarrigkeit, zu der nur alte Menschen fähig sind, hielt Maria Koll ihre Schrotflinte auf den Mann gerichtet, den sie nicht als ihren Sohn erkannte. Der Regen verstärkte sich. Für Anke wurde es unerträglich, weiter untätig zuzusehen, in welche Richtung sich die Lage zwischen Mutter und Sohn weiterentwickeln würde.
„ Fabio Koll«, rief sie unvermittelt, „wo ist mein Mann Wolf Heinzgen?!«
Unter betäubendem Lärm krachte weiterer Schrot aus Maria Kolls Flinte. Aber Gott sei Dank in die falsche Richtung. Fabio schnellte vor. Blitzartig folgte eine handgreifliche Auseinandersetzung. Anke konnte nicht so blitzartig folgen, wie Fabio es schaffte, seiner Mutter die Flinte aus der Hand zu schlagen und ihren
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