Schattenfall
hat?«
Die Bedeutung dieser Frage lag auf der Hand: Wenn du aus dem Norden bist – warum erkennst du diese Spur nicht?
Da begriff Kellhus: »Sranc.«
Leweth musterte den Waldrand ringsum, und der Mönch merkte, dass die Aufregung dem Trapper auf die Verdauung geschlagen war, dass sein Herz immer schneller pochte und er in rasendem Tempo die immer gleichen Worte dachte, keine Frage, sondern eine Litanei: Was-machen-wir-nur-was-machen-wir-nur …
»Wir sollten der Spur folgen«, meinte Kellhus, »und nachsehen, ob sie deine tägliche Fallentour kreuzt. Wenn ja…«
»Dieser Winter ist hart für sie«, sagte Leweth, um sich von der Sprachlosigkeit seines Schreckens zu befreien. »Sie sind nach Süden gezogen und suchen Nahrung… Sie jagen Wild. Ja, Wild.«
»Und wenn nicht?«
Leweth sah ihn wütend an. »Menschenfleisch dient den Sranc zu einem anderen Zweck: Uns jagen sie, um ihren Wahn zu lindern.« Er trat zwischen seine Hunde und sah mit Sorge, dass sie sich sofort an seine Beine schmiegten. »Ruhig, ganz ruhig«, sagte er leise, gab ihnen einen Klaps auf die Rippen, presste ihre Schnauze in den Schnee und rieb ihnen zugleich energisch über den Hinterkopf. Dabei griff er weit und regellos nach links und rechts aus, um seine Zuneigung möglichst gerecht zu verteilen.
»Holst du mir bitte die Maulkörbe, Kellhus?«
Durch den Schnee lief eine dünne, graue Spur. Es wurde dunkel. Winterabende erfüllen den Wald mit einer merkwürdigen Stille und vermitteln den Eindruck, etwas Gewaltiges mache sich ans Werk. Sie waren mit ihren Schneeschuhen weit gelaufen und hielten nun an.
Über ihnen streckte eine Eiche trostlos die Äste aus.
»Wir kehren besser nicht zurück«, sagte Kellhus.
»Aber wir können doch die Hunde nicht im Stich lassen!«
Der Mönch betrachtete Leweth ein paar Sekunden lang. Ihr Atem kondensierte in der Kälte sofort und stieg wie weißer Rauch auf. Kellhus war klar, dass er den Trapper mit Leichtigkeit von der Rückkehr abbringen konnte – egal, ob es sich um die Hunde, um Pelze oder andere Reichtümer handeln mochte. Wem auch immer sie hier folgten, der wusste von Leweths Fallentour und vielleicht sogar von der Hütte. Aber Spuren im Schnee – leere Zeichen, die eher von Abwesenheit als von Anwesenheit kündeten – waren eindeutig zu wenig, seine Kräfte zu erproben. Für Kellhus existierte die Gefahr nur indirekt, nämlich in der Angst, die der Trapper an den Tag legte. Und dem gehörte der Wald noch immer.
Der Mönch drehte sich um, und gemeinsam stapften sie auf ihren Schneeschuhen wieder Richtung Hütte. Doch nach wenigen hundert Metern schon packte Kellhus den Trapper an der Schulter und hielt ihn zurück.
»Was…«, begann Leweth, doch die Geräusche ließen ihn verstummen.
Aus vielen Kehlen drang gedämpftes Heulen und Schreien durch die Stille, dann fuhr ein einsames Jaulen durch die Niederung, und danach war es wieder winterstill.
Leweth stand so reglos da wie die Bäume ringsum. »Warum, Kellhus?«, fragte er heiser.
»Darum. Nichts wie weg.«
Kellhus saß im aschgrauen Frühlicht auf einem Stein und blickte durch Buschwerk und Kiefernwipfel zum Himmel, an dem sich der Morgen zartrosa ankündigte. Leweth schlief noch.
Wir sind gerannt, so schnell wir konnten, Vater. Aber war das schnell genug?
Dann sah er eine Bewegung, die sofort wieder im dunklen Unterholz verschwunden war.
»Leweth!«, rief er leise.
Der Trapper schrak hoch. »Was gibt’s?« Er hustete. »Es ist noch dunkel.«
Wieder eine Gestalt. Weiter links. Und näher dran.
Kellhus rührte sich nicht und konzentrierte sich ganz darauf, den Wald mit Blicken zu durchdringen. »Sie kommen.«
Leweth schob seine steif gefrorene Decke beiseite und richtete sich auf. Sein Gesicht war aschfahl. Verwirrt folgte er Kellhus’ Blick ins Halbdunkel. »Ich sehe nichts.«
»Sie schleichen sich an.«
Leweth begann zu zittern.
»Hau ab«, sagte Kellhus.
Leweth sah ihn überrascht an. »Weglaufen? Die Sranc schnappen alles. Denen entkommt man nicht. Die sind zu schnell!«
»Ich weiß«, gab der Mönch zurück. »Ich bleibe hier und halte sie auf.«
Leweth konnte ihn nur anstarren, vermochte sich aber nicht zu rühren. Eine plötzliche Fallböe peitschte die Bäume ringsum, und der kalte, leere Himmel schien nach ihm zu greifen. Dann drang ein Pfeil in seine Schulter. Der Trapper stürzte auf die Knie und starrte auf die rote Spitze, die aus seiner Brust ragte. »Kellhus!«, keuchte
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