Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
war.
Du hast geträumt, du Idiot. Nur ein Traum!
Er schüttelte den Kopf und stand vorsichtig auf. Die Schrammen und Kratzer, die er sich im
richtigen
Duell zugezogen hatte, waren noch längst nicht verheilt und schmerzten wie Feuer. Nachdenklich ging er zum Waschbecken und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Es war nun bereits das dritte Mal, dass er vom Duell träumte – nicht schlecht, wenn man bedachte, dass der Kampf nun genau drei Nächte her war. Der Traum war niemals genau gleich, sein Unterbewusstsein fügte jedes Mal ein neues, interessantes Detail ein. Dieses Mal hatte es sich offenbar Geshier herausgepickt, als freundliche Erinnerung an Mickeys Erlebnisse in Schweden. Beim wirklichen Duell war Geshier natürlich nicht dabei gewesen. Geshier war tot. Spider allein hatte ausgereicht, Mickey zu besiegen.
Er warf einen Blick auf den Wecker. Es war halb zwölf Uhr mittags. Zeit für seinen Termin. Vorsichtig schlüpfte er in seine Klamotten, dabei so gut es ging seine Wunden schonend, und verließ dann die Wohnung – nicht
seine
Wohnung, wohlgemerkt. Mickey hatte seit seiner Rückkehr nach Bergen nicht mehr gewagt, sich in seiner Wohnung blicken zu lassen. Er fürchtete immer noch, dass die Schatten scharf darauf waren nachzuholen, was Geshier verpatzt hatte.
Das Wetter machte ihm eine Tarnung noch immer einfach. Es war kalt, mittlerweile zwar nicht mehr unterhalb des Gefrierpunktes, aber ausreichend, um sich hinter Mütze und Schal zu verstecken. Auf den Straßen war der übliche Verkehr, mit viel Hupen und Motorenjaulen. Mickeys Augen hasteten hin und her, ständig auf der Suche nach einem potentiellen Verfolger, während erzu seinem Treffpunkt ging. Doch an diesem Tag schien sich niemand für ihn zu interessieren.
Sein Treffen war mit einem Rattenmenschen namens Sergeant Spice. Der Rattenschamane bewohnte eine Wellblechhütte im Stadtteil Paradis, die so vollgestapelt war mit Gerümpel, dass sich Mickey kaum vorstellen konnte, dass Spice dort tatsächlich lebte. Möglicherweise verbrachte der Rattenschamane den größten Teil seines Lebens in Rattengestalt. Das würde auch die vielen Kotspuren auf seinem Boden erklären.
»Willkommen in meiner Medizinhütte«, erklärte Spice. Er war ein dicklicher Mann von etwa Mickeys Größe, mit einem ausufernden Vollbart und langen Haaren, die zu dichten, krausen Dreadlocks verfilzt waren. Seine blinden Augen waren stumpf und weiß. Spice trug eine uralte Trainingshose und ein von mehreren Schichten Essensresten verkrustetes Feinrippshirt. Seine Füße waren barfuß. »Hier hatte ich meine besten Visionen. Meine schlimmsten übrigens auch, insofern warne ich dich, dir davon zu viel zu versprechen.«
Mickey nickte und lehnte sich, aus Ermangelung an Platz, in den Türrahmen. Als der Schmerz durch seinen zerkratzten Oberarm zuckte, richtete er sich mit einem Winseln auf und blieb verkrampft stehen.
»Du bist dir auch wirklich bewusst, dass du nicht mehr unser Anführer bist«, wollte Spice noch einmal klarstellen.
»Ja.«
»Und es ist dir auch klar, dass ich das hier nicht tun muss?«
»Ja.«
»Dass das alles ein riesengroßer Gefallen meinerseits ist?«
»Ja.« Mickey zwang sich, die Augen nicht zu verdrehen.
»Den ich jederzeit von dir zurückfordern kann?«
»Ja doch.«
»Gut. Ich wollte nur sichergehen.« Spice’ Hand tastete sich an einem vollbeladenen Schreibtisch entlang zu einer Schublade. Er öffnete sie und zog daraus einen blutig-blassen Menschenfinger hervor.
Es war Colts Zeigefinger. Vor fünf Tagen war Mickey in das Distrikthauptquartier der Polizei in Kristiansund eingebrochen und hatte den Leichnam seines Rudelbruders aus einem Eisfach gezerrt. Nur hatte er damals ein Messer benutzt, um den Finger abzuschneiden, während das, was Spice nun in der Hand hielt, eindeutig abgenagt aussah. Ansonsten sah es immer noch aus wie Colts Finger, insofern beschloss Mickey, sich nicht zu viele Gedanken darüber zu machen.
Spice räumte den Schreibtisch ab, indem er achtlos mit dem Unterarm alles davonschob, was sich darauf befand. Bierflaschen fielen klirrend zu Boden, ein ausgedörrter Kräuterstrauch sprang aus seiner Plastikschale und verteilte trockene Erde im Raum. Er legte den Finger sorgfältig in die Mitte der freigewordenen Fläche, bevor er aus der Schublade zwei Kartonstückchen nahm. Er hielt sie Mickey unter die Nase. »Was siehst du darauf?«
»Ein Harlekinsgesicht«, antwortete dieser. Sie sahen aus wie LSD-Tickets und
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