Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
»beherrscht Ihr das Ritual der Vernichtung?« Es war die sicherste Möglichkeit, einen Geist tatsächlich zu vernichten, nicht nur zu bannen.
»Ja.«
»Hier und jetzt?«
»Ja.«
Keelin nickte. Dann stieß sie
Schlangenbiss
tief in das weiche Fleisch des Madengeists.
Pandömonium brach aus. Die Kreatur zuckte zurück, das Pulsieren in ihrem Leib wurde merklich stärker. Die verbliebenen Kokons rings um sie herum fingen erneut an, sich zu bewegen, noch hektischer und wilder als vorhin. Grüner Schleim spritzte aus den Strängen, triefend, blubbernd.
»Schneidet sie auf!«, befahl Keelin. »Schneidet sie alle auf und erschießt sie!« Sie wusste, dass sie das Chaos sonst nicht lange ertragen würde.
Sie grub den Dolch tiefer in das Fleisch der Made, auf der Suche nach etwas, was die Kreatur töten würde, sägend, bohrend, drehend. Ihre Hand verschwand in dem geblähten Madenleib, schließlich sogar ihr Unterarm, und noch immer fuhr das Pulsieren fort. Ein Mann schrie irgendwo hinter ihr, dicht gefolgt vom lauten Mündungsknall einer Pistole. Keelin spürte einen derben Strang im Inneren der Kreatur, dann noch einen zweiten. Sie stach mit aller Kraft darauf ein, bis sie spürte, dass die Strukturenunter ihrer Klinge schließlich nachgaben. Plötzlich sprudelte eine warme Flüssigkeit über ihre Hand und quoll grünlich aus der Wunde.
Der Madenleib erstarb. Auf den Strängen gerann die gallige Flüssigkeit zu einer gelatineartigen Masse, während die Stränge selbst einen dunkelgrauen Farbton annahmen. Uirolec begann mit seinem obskuren Singsang, mit dem er vermutlich sein Ritual einleitete.
»Vorsicht!«, rief jemand. Zwei weitere Schüsse.
Wolfgangs Dolch war die einzige magische Waffe, so dass ihr nichts anderes übrig blieb, als jedem einzelnen der neugeborenen Schatten höchstpersönlich den Todesstoß zu versetzen. Sie begann bei Mathew Murray, tastete auf der linken Seite seiner Brust nach dem Spalt zwischen zwei Rippen und rammte dann den Dolch hinein. Danach sägte sie noch durch seinen Kehlkopf, nur um sicherzugehen. Es war eine grausige Tätigkeit, doch irgendjemand musste sie erledigen.
Dies hier ist die Jungbrut Bergens
, rief sie sich ins Gedächtnis.
Lässt du sie am Leben, sterben Unschuldige!
Es machte ihre Aufgabe kaum erträglicher.
»HÖR AUF!«, schrie plötzlich einer der Soldaten.
»WARTE!«, ein anderer. »Das ist Veronika!«
»Frau Wagner!«
Keelin sah auf. Veronika Wagner … War das nicht …? Sie sah zu Wolfgang. Ein Blick genügte, um sich zu vergewissern, dass Veronika Wagner tatsächlich jene Gudrun war, die sie alle auf der Festung Trollstigen verloren geglaubt hatten. Noch vor einer Minute hätte es Keelin nicht für möglich gehalten, dass Wolfgang im Moment noch stärker erschüttert werden konnte. Sie hatte sich getäuscht. Und wie sie sich getäuscht hatte.
Als der erste der Fallschirmjäger Veronikas Namen rief, erstarrte Wolfgang zu Eis.
»Frau Wagner, alles in Ordnung?«
»Seht ihr? Ich hab es immer gesagt, dass sie noch lebt!«
Wolfgang wagte kaum zu atmen. Es konnte nicht sein. Esdurfte nicht sein! Das Schicksal konnte ihm keinen solch grausamen Streich gespielt haben!
»Geht es Ihnen gut, Frau Leutnant?«
»ZURÜCK!«, schrie Bauer. »Zurück! Beruhigt euch! Wolfgang!« Als Wolfgang keine Reaktion zeigte, rief Bauer noch einmal: »Wolfgang, kommen Sie!«
Aber Wolfgang wollte nicht kommen. Er wollte nicht, dass dort aus einem der Kokons Veronika geschlüpft war, seine Gudrun, wollte sie nicht mit seinem Magiegespür untersuchen, wollte nicht erkennen, dass sie nun ein Schatten war wie all die anderen auch, die sie aus den Kokons herausgeholt hatten. Er wollte nicht, dass sie ihn mit ihren blauen Augen ansah, klein und niedlich, wollte nicht das Entsetzen darin sehen, wenn er den Befehl gab, sie zu töten. Denn dies musste er tun. Wenn sie ein Schatten war, musste er sie töten. Er konnte sie noch nicht einmal Keelin überlassen. Wenn er dies nicht selbst tat, würde ihn die Erinnerung daran auffressen.
Er spürte eine Hand auf der Schulter. Er sah nicht auf.
»Wolfgang«, murmelte Keelin. »Die Männer brauchen dich.«
Wolfgang antwortete nicht. Wie sollte er auch? Er konnte schlecht sagen, dass er nicht wollte. Dass sie ohne ihn entscheiden sollten, was mit ihr geschehen sollte. Er würde es sich nie verzeihen, wenn man sie laufen ließe und sie später genauso mordete und quälte wie all die anderen Schatten. Genauso wenig würde er es sich
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