Schattengilde 03 - Unter dem Verrätermond
Jahre hinweg wie eifersüchtige Brüder in die Haare geraten. Und doch standen sie nun jeder beim anderen in der Schuld, seit Mardus Thero und Alec entführt hatte. Nach allem, was Alec ihm später erzählt hatte, hatten sie sich während ihrer entsetzlichen Reise gegenseitig am Leben erhalten, lange genug, dass Alec noch vor der letzten Schlacht an den einsamen plenimaranischen Küstenstreifen fliehen konnte. Nysanders Tod hatte ihre Rivalität beigelegt, doch blieben sie sich gegenseitig lebendige Mahnmale dessen, was sie verloren hatten.
Hoffnungsvoll wandte sich Seregil an Micum. »Du kommst doch auch mit, oder?«
Micum musterte einen Haken an der Wand. »Bin nicht eingeladen. Ich bin nur hier, um dich zu überzeugen. Dieses Mal wirst du dich mit Beka auseinandersetzen müssen.«
»Aha.« Seregil schob den Teller fort. »Nun, ich werde euch meine Antwort am Morgen wissen lassen. Wie steht es nun mit einem kleinen Spielchen. Mit Alec zu spielen macht keinen Spaß mehr. Er kennt schon meine Tricks.«
Eine Weile gelang es Seregil, sich in der schlichten Freude am Spiel zu verlieren, ein Vergnügen, was umso kostbarer war, da er wusste, wie vergänglich dieser Augenblick des Friedens war.
Er hatte die lange Ruhepause genossen. Oft fühlte er sich, als wäre er von einer Welt in eine ganz andere übergetreten. Alec hatte all das schon gekannt, bevor sie sich begegnet waren: ein einfaches Leben der Jagd, des Wanderns und harter körperlicher Arbeit. In der vergangenen Zeit, in der sie sich gemüht hatten, ihre Fähigkeiten als Wächter und Fassadenkletterer zu üben, hatten sie einiges an Unfug angestellt, aber meistens hatten sie sich doch mit ehrlicher Arbeit zufrieden gegeben.
Und einander geliebt. Seregil lächelte auf seine Karten herab und dachte an die vielen Male, während derer er und Alec ineinander verschlungen das Lager geteilt hatten in all den zahllosen Tavernen, neben ebenso zahllosen Lagerfeuern und auf dem Bett, dass Micum im Moment als Sitzplatz diente. Oder auf dem weichen Frühlingsgras unter den Eichen stromabwärts, oder im süßen Heu des Herbstes, oder in dem Teich unter dem Gipfel und einmal, zappelnd, stolpernd und halb bekleidet, im tiefen Schnee unter dem erbarmungslos zunehmenden Mond, der sie drei Nächte hintereinander ihres Schlafes beraubt hatte.
Nun, da er darüber nachdachte, stellte er fest, dass es nicht allzu viele Flecken in der näheren Umgebung gab, an denen das Verlangen sie nicht ein ums andere Mal überwältigt hatte. Sie waren einen weiten Weg gegangen, seit Alec ihn in Plenimar zum ersten Mal unbeholfen geküsst hatte, aber schließlich hatte der Junge stets schnell gelernt.
»Du hast wohl ziemlich gute Karten«, sagte Micum mit spöttischem Blick. »Würde es dir etwas ausmachen, uns an deinem Blatt teilhaben zu lassen? Du bist am Zug.«
Seregil spielte zehn Augen, und Micum nahm sie mit siegessicherem Gegacker auf.
Seregil betrachtete seinen alten Freund mit einer Mischung aus Trauer und tiefer Zuneigung. Micum war in Bekas Alter gewesen, als sie einander das erste Mal begegnet waren – ein großgewachsener, liebenswerter Vagabund, der Seregil mit Freude bei seinen Abenteuern begleitet hatte, wenn auch nicht ins Bett. Nun überstieg die Zahl seiner silbernen Haare deutlich die roten im Bart und dem noch immer dichten Schopf seines Freundes.
Wir nennen sie Tírfaie: die Kurzlebigen. Er sah zu, wie Beka mit Alec scherzte, und wusste, dass er zusehen würde, wie auch ihr wildes rotes Haar ergrauten während das seine noch immer dunkel blieb. Jedenfalls, so Sakor wollte und sie den Krieg überlebte.
Rasch stopfte er diesen düsteren Gedanken in den Zwinger zu den anderen, die irgendwo im Hintergrund seines Bewusstseins heulten.
Zwei Kerzen brannten herab, ehe Micum die Karten hinwarf. »Nun, ich denke, für eine Nacht habe ich jetzt genug verloren. Außerdem hat die Reiterei mich ermüdet.«
»Ich würde dich gern in meine Hütte bitten, aber …«, begann Seregil.
Micum ging mit einem wissenden Blick über seine Worte hinweg. »Es ist eine sternenklare Nacht, und wir haben gute Zelte. Wir sehen uns dann morgen.«
Seregil sah ihnen nach, bis Micum und Beka zwischen den Zelten verschwunden waren, ehe er sich zu Alec umwandte. Schon jetzt rumorte das Grauen in seinem Magen.
Alec saß am Tisch und mischte träge die Karten, und im flackernden Licht des Feuers sah er älter aus, als er tatsächlich war. »Und?«, fragte er sanft, aber dennoch
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