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Schattengilde 03 - Unter dem Verrätermond

Titel: Schattengilde 03 - Unter dem Verrätermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Flewelling
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aber genau das habe ich getan.« Er stieß ein bitteres Lachen aus. »Ich nehme an, damit hat nicht einmal Ilar gerechnet, als er den Haman zurückgeschickt hat.«
    »Er wollte, dass du geschnappt wirst?«
    »Oh ja; genau dorthin hat all seine Aufmerksamkeit führen sollen. Die Faie lassen sich nur selten zu einem Mord herab, Alec, nicht einmal zu offener Gewalt. Das geht alles auf den Atui, unseren Ehrenkodex, zurück. Atui und Clan sind alles – durch sie definiert sich das Individuum und die Familie.« Traurig schüttelte er den Kopf. »Ilar und seine Mitverschwörer – und davon gab es einige, wie sich herausstellen sollte – mussten mich nur dazu manipulieren, Verrat am Atui meines Clans zu üben, um ihr Ziel zu erreichen, nämlich den Abbruch der Verhandlungen. Nun, das haben sie zweifellos geschafft! Was nun folgte, war so dramatisch wie billig, wenn man meinen Ruf und meine allzu offensichtliche Beziehung zu Ilar bedenkt. Ich wurde der Komplizenschaft an dem Komplott und des Mordes für schuldig befunden. Habe ich dir je erzählt, welche Strafe meine Leute für Mord verhängen?«
    »Nein.«
    »Ein alter Brauch. Man nennt ihn Dwai Sholo.«
    »Zwei Schalen?«
    »Richtig. Die Bestrafung besteht darin, den ganzen Clan des Verbrechers zur Verantwortung zu ziehen. Der Clan, dem Unrecht getan wurde, kann Teth’sag gegen die Familie des Schuldigen fordern. Wenn dieser Clan dann das Atui bricht und seiner Pflicht nicht nachkommt, kann die Familie des Opfers eine Fehde erklären, und all das nachfolgende Töten gilt nicht als Mord, bis die Ehre wiederhergestellt ist.«
    »Wie auch immer, beim Dwai Sholo wird die schuldige Person in eine winzige Zelle im Haus ihres eigenen Khirnari gesperrt und bekommt jeden Tag zwei Schalen mit Nahrung. Eine Speise ist vergiftet, die andere nicht. Der Verurteilte darf jeden Tag eine wählen oder beide zurückweisen. Wenn er ein Jahr und einen Tag überlebt, wird das als Zeichen des Aura gewertet und der Gefangene freigelassen. Den wenigsten gelingt es.«
    »Aber dir haben sie das nicht angetan.«
    »Nein.« … erstickende Hitze, Dunkelheit, Worte, die quälen … Seregil umklammerte seinen Becher. »Ich wurde stattdessen verbannt.«
    »Was geschah mit den anderen?«
    »Die kleine Zelle und die zwei Schalen, soweit ich weiß. Für alle außer Ilar. Er flüchtete in der Nacht, in der ich geschnappt wurde. Und er hatte sein Ziel erreicht. Die Haman nutzten den Skandal, um die Verhandlungen abzubrechen. Alles, wofür meine Familie Jahrzehnte gearbeitet hatte, war in nicht einmal einer Woche zunichte gemacht worden. Und der ganze Plan war darauf aufgebaut gewesen, den Sohn des Korit í Solun hinters Licht zu führen, damit er die Ehre seines Clans verrät. Und weißt du was?«
    Seine Stimme klang plötzlich rau, so rau, dass er einen weiteren Schluck Wein trinken musste, ehe er wieder sprechen konnte. »Das Schlimmste war nicht das Töten oder die Schmach oder das Exil. Es war die Tatsache, dass die Menschen, denen ich hätte vertrauen sollen, versucht haben, mich zu warnen. Aber ich war zu eingebildet und halsstarrig, auf sie zu hören.« Er wandte sich ab, unfähig, Alecs mitfühlenden Blick zu ertragen. »Da hast du sie, meine ganze schändliche Vergangenheit. Nysander war der einzige, dem ich je davon erzählt habe.«
    »Und das alles geschah vor über vierzig Jahren?«
    »Für die Verhältnisse der Aurënfaie war es gerade erst gestern.«
    »Hat dir dein Vater vergeben?«
    »Er ist vor Jahren gestorben, und, nein, er hat mir nie vergeben. So wenig wie meine Schwestern, abgesehen von Adzriel – habe ich erwähnt, dass Shalar in einen Haman verliebt war? Außerdem bezweifle ich, dass allzu viele Mitglieder meines Clans, die unter der Bürde der Schande geboren wurden, die ich über unseren Namen gebracht habe, begierig sein werden, mich willkommen zu heißen.«
    Nun, da er zu Ende gesprochen hatte, kippte Seregil den Rest seines Weines hinunter, während die Bilder seines letzten Tages am Hafen von Virésse ungebeten durch sein Bewusstsein flatterten: das zornige Schweigen seines Vaters, Adzriels Tränen, die vernichtenden Kommentare und Pfiffe, die ihn über die Planke auf das fremde Schiff begleitet hatten. Er hatte damals nicht geweint, und er tat es auch jetzt nicht, doch das Gefühl der Reue war so frisch wie eh und je.
    Alec wartete still, die Hände vor sich auf dem Tisch gefaltet. Allein in dem Schweigen am Feuer, fühlte Seregil plötzlich tiefe Sehnsucht nach der

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